Ueberflieger
durch, und in der fünften Klasse lernte er Physik und Chemie. Im Alter von neun Jahren sagte er zu einem |89| Cousin: »Stell mir eine Frage auf Lateinisch und ich antworte dir auf Griechisch.«
Oppenheimer studierte in Harvard Physik und wechselte zur Promotion nach Cambridge in England. Dort begann Oppenheimer, der sein Leben lang unter Depressionen litt, allmählich zu verzweifeln. Seine Stärke war die theoretische Physik, doch sein Doktorvater, ein Mann namens Patrick Blackett (der 1948 den Nobelpreis erhielt), verdonnerte ihn dazu, sich mit den Details der experimentellen Physik herumzuschlagen, die er verabscheute. Er wurde emotional immer labiler und tat schließlich etwas, das bis heute niemand so recht verstanden hat: Er versuchte, seinen Doktorvater mit Chemikalien aus dem Labor zu vergiften.
Glücklicherweise bemerkte Blackett, dass etwas nicht in Ordnung war. Er schaltete die Universitätsleitung ein und Oppenheimer wurde vorgeladen. Was dann passierte, ist fast genauso unglaublich wie das Verbrechen selbst. In ihrer Oppenheimer-Biografie
American Prometheus
beschreiben die beiden Autoren Kai Bird und Martin Sherwin es so: »Nach langwierigen Verhandlungen kam man überein, Robert auf Bewährung weiterstudieren zu lassen, und ordnete an, er solle sich einer regelmäßigen Behandlung bei einem Psychiater in der Londoner Harley Street unterziehen.«
Auf Bewährung?
Hier haben wir zwei geniale junge Studenten, von denen jeder plötzlich vor einem Problem steht, das seine universitäre Laufbahn gefährdet. Chris Langans Mutter hat es versäumt, ein Formular auszufüllen, das für die Verlängerung des Stipendiums notwendig gewesen wäre. Und Robert Oppenheimer hat versucht, seinen Doktorvater zu vergiften. Um ihr Studium fortsetzen zu können, müssen beide bei einer höheren Autorität vorsprechen. Und was passiert? Langan verliert sein Stipendium, und Oppenheimer wird zum Psychiater geschickt. Oppenheimer und Langan mögen beide Genies sein, doch in jeder anderen Hinsicht könnte der Unterschied zwischen beiden kaum größer sein.
|90| Oppenheimers Ernennung zum wissenschaftlichen Leiter des Manhattan Project 20 Jahre später demonstriert diesen Unterschied vermutlich noch eindrucksvoller. Leslie Groves, der leitende General des Projekts, suchte landauf, landab nach einem geeigneten Naturwissenschaftler, der in der Lage war, den Bau der Atombombe in die Hand zu nehmen. Oppenheimer hatte kaum Aussichten, den Posten zu bekommen. Er war gerade einmal 38 Jahre alt und damit erheblich jünger als viele der Wissenschaftler, deren Vorgesetzter er wäre. Er war Theoretiker, und für den Bau der Bombe waren Experimentalphysiker und Ingenieure gefragt. Dazu kamen seine zweifelhaften politischen Neigungen und die Tatsache, dass einige seiner Freunde Kommunisten waren. Vor allem aber hatte er keinerlei Verwaltungs- und Führungserfahrung. »Er war ein durch und durch unpraktischer Mensch«, berichtete einer seiner Freunde später. »Er schlurfte mit ausgelatschten Schuhen durch die Gegend, hatte einen komischen Hut auf dem Kopf und vor allem hatte er keinerlei Ahnung von Geräten.« Ein Ingenieur aus Berkeley brachte es auf den Punkt: »Er hätte nicht mal eine Würstchenbude führen können.«
Ach ja, und übrigens hatte er an der Universität versucht, seinen Doktorvater umzubringen. Das waren also die Qualifikationen des Mannes, der sich auf eine Stelle bewarb, die man ohne Übertreibung als eine der wichtigsten Positionen des gesamten 20. Jahrhunderts bezeichnen könnte. Doch es passierte dasselbe wie 20 Jahre zuvor in Cambridge: Es gelang ihm, den Rest der Welt von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen.
Noch einmal Bird und Sherwin: »Oppenheimer erkannte, dass Groves über den Zugang zum Manhattan Project entschied, also bot er seinen ganzen Charme und seine ganze Genialität auf. Es war eine unwiderstehliche Vorstellung.« Groves war hingerissen. »›Er ist ein Genie‹, erklärte Groves später einem Journalisten gegenüber. ›Ein echtes Genie.‹« Groves hatte am MIT Ingenieurwesen studiert, und Oppenheimer verstand es geschickt, den General von dieser Seite zu packen. Bird und Sherwin schreiben |91| weiter: »Oppenheimer war der erste Wissenschaftler, den Grove in seinen zahlreichen Auswahlgesprächen kennengelernt hatte, der verstand, dass der Bau einer Atombombe praktische Lösungen für eine Vielzahl interdisziplinärer Probleme erforderte … Groves nickte zustimmend, als Oppenheimer ein
Weitere Kostenlose Bücher