Ueberflieger
zentrales Labor vorschlug, das sich ausschließlich diesem Zweck widmete und ›wo wir die chemischen, metallurgischen, technischen und ballistischen Probleme in den Griff bekamen, die bislang überhaupt noch nicht angesprochen worden waren.‹«
Hätte Oppenheimer sein Stipendium am Reed College verloren? Wäre er außerstande gewesen, seine Kurse vom Vormittag auf den Nachmittag zu verlegen? Natürlich nicht. Und nicht etwa, weil er intelligenter gewesen wäre als Chris Langan, sondern weil er die Art von Cleverness und Sozialkompetenz besaß, die es ihm ermöglichte, das zu bekommen, was er wollte.
»Im ersten Semester mussten alle eine Einführung in die Mathematik belegen«, berichtet Langan über seinen kurzen Aufenthalt an der Montana State University. »Ich hatte das Pech, einen Professor zu bekommen, der den Stoff langweilig und völlig trivial vermittelt hat. Ich habe nicht kapiert, warum er den Stoff so unterrichtet hat. Also habe ich ihm ein paar Fragen gestellt. Dazu musste ich ihm erst bis in sein Büro nachlaufen. Ich habe ihn gefragt: ›Warum unterrichten Sie das so? Warum meinen Sie, dass diese Übung in einer Einführung in die Mathematik etwas bringt?‹ Und dieser Typ, ein langer, dürrer Kerl, der immer mit Schweiß unter den Armen herumlief, hat sich umgedreht, mich angesehen und zu mir gesagt: ›Sie sollten sich eines klarmachen. Es gibt Leute, die haben geistig einfach nicht das Zeug zum Mathematiker.‹«
Hier stehen sich also der Professor und das Wunderkind gegenüber, und das Wunderkind hat ganz offensichtlich das Bedürfnis, sich endlich mit einem Menschen zu unterhalten, der genauso von der Mathematik fasziniert ist wie es selbst. Doch Langan scheitert kläglich. Das Traurigste ist, dass er zwar mit seinem Professor spricht, dass es ihm aber nicht gelingt, die eine Tatsache zu kommunizieren, |92| mit der er diesen wirklich für sich einnehmen würde. Der Professor erfährt nie, dass Chris Langan etwas von Mathematik versteht.
3.
Die Fähigkeit, die es jemandem ermöglicht, sich aus einer Mordanklage herauszureden oder von einem Vormittags- in einen Nachmittagskurs zu wechseln, nennt der Psychologe Robert Sternberg »praktische Intelligenz«. Dazu gehört laut Sternberg unter anderem »zu wissen, was man zu wem sagt, wann man es sagt, und wie man es vorbringt, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen«. Es geht also um ein Verfahren und darum, zu wissen, wie man etwas tut, ohne notwendigerweise zu wissen, warum, und ohne es erklären zu können. Dieses Wissen ist rein praktischer Natur, es ist kein Wissen, das man um seiner selbst Willen erwirbt. Es hilft uns, Situationen richtig einzuschätzen und unsere Ziele zu erreichen. Diese Intelligenz hat nichts mit den analytischen Fähigkeiten zu tun, die in einem Intelligenztest abgefragt werden. Um einen technischen Begriff zu verwenden, verhalten sich allgemeine und praktische Intelligenz »orthogonal« zueinander: Wenn eine vorhanden ist, heißt das nicht, dass die andere vorhanden sein muss. Manche Menschen haben viel analytische und kaum praktische Intelligenz, andere haben kaum analytische und dafür umso mehr praktische Intelligenz, und wieder andere – wie im glücklichen Fall von Robert Oppenheimer – haben eine gehörige Portion von beidem.
Woher kommt also diese praktische Intelligenz? Woher die analytische Intelligenz kommt, wissen wir: Sie hängt zumindest zum Teil mit den Genen zusammen. Chris Langan sprach die ersten Worte im Alter von sechs Monaten und brachte sich im Alter von drei Jahren das Lesen bei. Er kam als schlaues Kind zur Welt. Der Intelligenzquotient ist in gewisser Hinsicht das Maß einer angeborenen Fähigkeit. 12 |93| Doch Sozialkompetenz ist eine Form von Wissen und beinhaltet Fähigkeiten, die erst erworben werden müssen. Dieses Wissen muss irgendwoher kommen, und ein wichtiger Ort, an dem wir die erforderlichen Fähigkeiten erlernen, ist die Familie.
Die vielleicht beste Erklärung dieses Prozesses stammt von der Soziologin Annette Lareau von der University of Maryland, die vor einigen Jahren mit einer Gruppe von Drittklässlern eine faszinierende Untersuchung durchführte. Sie wählte schwarze und weiße, wohlhabende und arme Kinder aus und konzentrierte sich schließlich auf zwölf Familien. Lareau und ihr Team besuchten jede Familie mindestens 20 Mal für jeweils mehrere Stunden. Sie und ihre Mitarbeiter baten ihre Testpersonen, sie einfach wie den Haushund zu behandeln, und begleiteten sie
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