Ueberflieger
Haupteinnahmequelle. Nebenbei beschäftigte er sich weiter mit Philosophie, Mathematik und Physik und arbeitete an einem ausufernden Aufsatz, den er »CTMU« nennt: »Kognitives theoretisches Modell des Universums«. Aber ohne Universitätsabschluss hat er keine Aussichten darauf, diesen Aufsatz je in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen zu können.
»Ich bin ein Typ mit anderthalb Jahren Studium«, sagte er achselzuckend. »Irgendwann merkt das auch der Herausgeber. Er schickt den Aufsatz an Juroren, die schlagen mich nach und finden |87| mich nirgends. Und dann sagen sie, der Typ hat anderthalb Jahre lang studiert. Der kann doch unmöglich eine Ahnung davon haben, worüber er da schreibt.«
Es ist eine Geschichte, die einem das Herz zerreißen kann. In unserem Gespräch frage ich Langan, ob er sich – rein theoretisch natürlich nur – vorstellen könnte, einen Job an der Harvard University anzunehmen. »Schwierige Frage«, erwidert er. »Natürlich wäre ich als Harvard-Professor jemand. Meine Meinung hätten Gewicht, und ich könnte die Position und die Verbindung mit Harvard nutzen, um meine Ideen zu publizieren. Eine Institution wie diese ist eine Quelle intellektueller Energie, ich würde die Schwingungen in mir aufsaugen.« Plötzlich wird deutlich, wie einsam er sein Leben lang war. Dieser Mann mit seinem unersättlichen Bildungshunger war Zeit seines Lebens zu intellektueller Isolation verdammt. »Diese Energie habe ich auch während der anderthalb Jahre gespürt, die ich an der Universität war«, sagt er beinahe wehmütig. »Überall waren Ideen in der Luft. Universitäten sind sehr anregende Orte.«
»Andererseits«, fährt er fort, »ist Harvard im Grunde nichts anderes als ein verklärtes Wirtschaftsunternehmen, das auf Profitbasis operiert. Nur darum geht es. Sie haben eine milliardenschwere Stiftung. Die Leute, die hinter Harvard stehen, haben kein Interesse an Wahrheit und Erkenntnis. Sie wollen nur groß dastehen. Wenn man auf der Gehaltsliste dieser Leute ist, dann steht am Ende das, was man selbst will und für richtig hält, gegen das, was man nach der Ansicht von denen da oben machen kann, wenn man weiter auf der Gehaltsliste bleiben will. Wenn man erst mal da ist, haben die den Daumen drauf. Die sehen zu, dass keiner aus der Reihe tanzt.«
2.
Was können wir aus der Geschichte von Chris Langan lernen? So herzzerreißend seine Erklärungen sein mögen, sie klingen auch |88| ein wenig merkwürdig. Seine Mutter vergisst, ein Formular auszufüllen, und – schwupp! – hat er kein Stipendium mehr. Er will von einem Vormittags- in einen Nachmittagskurs wechseln – eigentlich eine Routineangelegenheit – und wird jäh aus der Bahn geworfen. Warum interessierten sich seine Betreuer am Reed College und an der Montana State University nicht für seine Schwierigkeiten? Professoren freuen sich in der Regel über kluge Köpfe, wie er einer ist. Langan spricht über Reed College und Montana State University, als handele es sich um anonyme und unflexible Bildungsfabriken. Doch kleine Colleges wie Reed sind in der Regel keine verknöcherten bürokratischen Apparate. Es gehört zum Alltag der Professoren, auf die Studierenden zuzugehen, um ihnen die Fortsetzung ihres Studiums zu ermöglichen.
Auch aus seinen Einlassungen über Harvard wird deutlich, dass Langan keine Vorstellung von der universitären Kultur hat.
Wenn
man auf der Gehaltsliste dieser Leute ist, dann steht am Ende das,
was man selbst will und für richtig hält, gegen das, was man nach
der Ansicht von denen da oben machen kann, wenn man weiter auf
der Gehaltsliste bleiben will.
Wie bitte? Einer der Gründe, warum sich Professoren mit einem Gehalt zufrieden geben, das zum Teil weit unter dem liegt, was sie in der Privatwirtschaft verdienen könnten, ist doch, dass sie an der Universität die Freiheit haben, das zu tun, was sie wollen und für richtig halten. Langan stellt Harvard auf den Kopf.
Als Chris Langan mir seine Lebensgeschichte erzählte, musste ich unwillkürlich an die Biografie von Robert Oppenheimer denken, den Physiker, der während des Zweiten Weltkriegs die Entwicklung der amerikanischen Atombombe leitete. Wenn man seinen Biografen glaubt, muss Oppenheimer einen ähnlichen Verstand gehabt haben wie Langan. Seine Eltern hielten ihn für ein Genie. Einer seiner Lehrer erinnerte sich, »er nahm jeden neuen Gedanken als etwas perfekt Schönes auf«. In der dritten Klasse führte er im Labor Experimente
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