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Ueberflieger

Titel: Ueberflieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Beschreibung: »Um eine Stelle zu bekommen, benötigen Absolventen ausgezeichnete familiäre Verbindungen, ausgezeichnete Kenntnisse, eine ausgezeichnete Persönlichkeit oder eine Kombination aus diesen drei Eigenschaften. Die sogenannte »Annehmbarkeit« setzt sich aus den genannten drei Einzelfaktoren zusammen. Verfügt ein Mann über eine dieser Eigenschaften, kann er eine Anstellung bekommen. Verfügt er über zwei, kann er zwischen mehreren Anstellungen auswählen. Und verfügt er über alle drei, stehen ihm sämtliche Türen offen.«
    Bickel war weder blond noch blauäugig. Er sprach mit einem breiten Akzent, und seine familiären Verbindungen bestanden in erster Linie aus Solomon und Yetta Bickel aus Bukarest, die seit einigen Jahren in Brooklyn lebten. Floms Referenzen waren kaum besser. Wenn er berichtet, er habe sich bei seinen Vorstellungsgesprächen in Manhattan »sehr unwohl« gefühlt, dann ist das nur zu verständlich: Er war klein, dick, Jude und sprach mit dem näselnden Dialekt seines Heimatstadtteils Brooklyn. Sie können sich vorstellen, wie er auf einen silberhaarigen Patriarchen in seiner Bibliothek gewirkt haben muss. Wer nicht den richtigen gesellschaftlichen Hintergrund und die richtige Religionszugehörigkeit mitbrachte, fing damals nach dem Studienabschluss in einer kleinen, zweitklassigen Kanzlei von Emporkömmlingen an, die eine Stufe unter den großen Namen von Südmanhattan rangierte, oder er gründete einfach selbst eine Firma und nahm alles an, »was gerade zur Tür hereinkam« – also alles, womit sich die großen Kanzleien nicht abgeben wollten. Das klingt furchtbar ungerecht, und das war es auch. Aber wie so oft im Falle der Überflieger sollte sich gerade dieser Nachteil als große Chance erweisen.
    4.
    Die alteingesessenen Kanzleien hatten sehr genaue Vorstellungen davon, welche Fälle sie übernahmen und welche nicht. Sie waren |113| Unternehmensanwälte und repräsentierten die größten und angesehensten Konzerne des Landes, das heißt, sie erledigten deren Steuern, übernahmen bei der Ausgabe von Aktien und Anleihen die juristische Seite und stellten sicher, dass ihre Kunden keinen Ärger mit den Regulierungsbehörden bekamen. Sie waren nicht am Gericht tätig, weshalb kaum eine Kanzlei eine eigene Prozessabteilung hatte.
    Paul Cravath, Mitbegründer von Cravath, Swaine and Moore, einer der weißesten der »Weiß-Schuh-Kanzleien«, erklärte einmal, die Aufgabe eines Anwalts bestehe darin, einen Streit im Konferenzraum beizulegen, nicht im Gerichtssaal. »Die klugen Köpfe unter meinen Harvard-Kommilitonen sind nach dem Abschluss in den Wertpapierhandel oder die Steuerberatung gegangen«, erinnert sich einer seiner Partner. »Das waren die Bereiche mit Prestige. Prozesse waren etwas für Amateure, nicht für seriöse Rechtsanwälte. Unternehmen haben sich damals nicht gegenseitig verklagt.«
    Womit sich diese alteingesessenen Kanzleien auch nicht abgaben, waren feindliche Unternehmensübernahmen. Das kann man sich heute, in einer Zeit, in der Corporate Raider und Investmentfonds ein Unternehmen nach dem anderen schlucken, kaum noch vorstellen. Doch bis in die Siebzigerjahre galt es als skandalös, wenn ein Unternehmen ein anderes gegen dessen Willen aufkaufte. Kanzleien wie Mudge Rose und andere Firmen der Wall Street waren nicht bereit, sich mit solchen Geschäften die Finger schmutzig zu machen.
    »Das Problem der feindlichen Übernahmen war eben, dass sie feindlich waren«, erklärt Steven Brill, Gründer der Fachzeitschrift
American Lawyer
. »So etwas tat man als Gentleman nicht. Wenn Ihr Kumpel von Princeton Vorstandsvorsitzender des Unternehmens X ist, dieses Unternehmen schon lange am Rand des Abgrunds herumkrebst und ein Corporate Raider bei Ihnen vorstellig wird und Ihnen sagt, dass dieses Unternehmen marode ist, dann wird Ihnen ganz mulmig zumute. Sie denken, wenn der geht, dann |114| bin ich vielleicht auch bald dran. Niemand will die bestehende stabile Ordnung gefährden.« 13
    Die Fälle, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren bei der jungen Generation jüdischer Anwälte aus der Bronx und Brooklyn »zur Tür hereinkamen«, waren genau die, für die sich die feinen Kanzleien zu gut waren: Prozesse, und wichtiger noch, die juristischen Auseinandersetzungen um Stimmrechte, mit denen eine feindliche Übernahme vorbereitet wurde. Ein Investor interessierte sich für ein Unternehmen, erklärte das Management für inkompetent und verschickte Briefe an die

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