Ueberflieger
Aktionäre, um deren Stimmrechte zu bekommen und den Unternehmensvorstand aus dem Amt zu wählen. Und für Übernahmeschlachten wie diese bekamen Investoren nur einen Anwalt wie Joe Flom.
In seinem Buch
Skadden
beschreibt der Justizhistoriker Lincoln Caplan die Anfangszeiten der feindlichen Übernahmen.
Der Gewinner einer Übernahmeschlacht wurde in der Schlangengrube ermittelt – so nannte man den Raum, in dem bei den Aktionärsversammlungen die Stimmen ausgezählt wurden. Anwälte beider Seiten trafen sich mit den unabhängigen Wahlbeobachtern, deren Aufgabe darin bestand, zweifelhafte Stimmen anzuerkennen oder auszusortieren. Diese Auszählungen verliefen häufig hemdsärmelig und lautstark. Die Anwälte kamen gelegentlich in T-Shirts, aßen Wassermelonen und tranken Scotch. |115| Hin und wieder konnten die Ereignisse in der Schlangengrube eine Übernahme noch kippen und hingen an einer einzigen Stimme.
Manchmal versuchten Anwälte, eine Wahl zu manipulieren, indem sie Wahlbeobachter anheuerten, die ihnen verpflichtet waren. Die Beobachter rauchten Zigarren, die ihnen von beiden Seiten geschenkt wurden. Die Anwälte der Unternehmensleitung fochten die Stimmen der Rebellen an (»Einspruch!«) und umgekehrt … In der Schlangengrube überlebten nur die Improvisationskünstler. Es gab Anwälte, die sich besser in den Aktionärsgesetzen auskannten, aber keiner konnte besser fighten als Joe Flom.
Flom war dick (er hatte damals 50 Kilo Übergewicht, wie ein Anwalt sagte), unattraktiv (einer seiner Partner beschrieb ihn als Frosch) und guten Umgangsformen gegenüber gleichgültig (er furzte in der Öffentlichkeit und fuchtelte mit seiner Zigarre vor dem Gesicht seiner Gesprächspartner herum, ohne sich zu entschuldigen). Doch Freund und Feind waren sich einig, dass er einen unübertroffenen Siegeswillen hatte und meisterlich auftrat.
Auch die feinen Kanzleien riefen bei Flom an, wenn ein Corporate Raider zum Angriff auf einen ihrer Klienten ansetzte. Sie selbst rührten solche Fälle nicht an, doch sie gaben sie nur zu gern an Skadden, Arps weiter. »In der Anfangszeit waren Floms Spezialität die Stimmrechtskämpfe, und so etwas übernahmen wir nicht, genauso wenig wie wir Scheidungsfälle übernahmen«, erzählt Robert Rifkind, langjähriger Partner bei Cravath, Swaine and Moore. »Daher wollten wir auch nicht damit in Verbindung gebracht werden. Ich erinnere mich an den Fall einer Stimmrechtsauseinandersetzung. Einer der Geschäftsführer sagte, warum fragen wir nicht Joe. Wir haben uns im Konferenzraum getroffen, ihm die Lage auseinandergesetzt und Joe hat uns erklärt, was wir zu tun hätten. Nachdem er wieder gegangen war, habe ich gesagt: ›Das können wir übernehmen.‹ Und die Partner haben geantwortet, ›Nein, nein, nein, auf gar keinen Fall. Das übernehmen wir nicht.‹ So etwas haben wir eben einfach nicht gemacht.«
Mit Beginn der Siebzigerjahre schwand die alte Abneigung gegen Gerichtsverfahren. Die Möglichkeiten der Kreditaufnahme wurden verbessert, die staatlichen Regulierungen gelockert, die Märkte |116| internationaler und die Investoren immer aggressiver. Das Ergebnis war ein Boom der feindlichen Unternehmensübernahmen. »Wenn Sie im Jahr 1980 eine Umfrage unter den Mitgliedern des Business Roundtable [des Unternehmerverbands der Vereinigten Staaten] durchgeführt hätten, ob feindliche Übernahmen gesetzlich zulässig sein sollten oder nicht, dann hätten zwei Drittel mit Nein geantwortet«, sagt Flom. »Heute wäre die Antwort ein fast einstimmiges Ja.« Unternehmen mussten sich gegen Anklagen durch die Konkurrenz wehren, und Corporate Raiders 14 mussten abgewehrt werden. Investoren, die unwillige Unternehmen verschlingen wollten, benötigten Unterstützung bei der Entwicklung ihrer juristischen Strategie. Und die Aktionäre benötigten professionellere Vertreter. Es ging um gewaltige Summen. Von Mitte der Siebziger- bis Ende der Achtzigerjahre stieg das Volumen der jährlichen Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen an der Wall Street um
2 000 Prozent
auf heute knapp eine Viertelbillion Dollar.
Mit einem Mal rissen sich alle um das Geschäft, das die alteingesessenen Kanzleien so lange verschmäht hatten: feindliche Übernahmen und Prozesse. Und wer waren die Experten auf diesen beiden plötzlich so entscheidenden Gebieten? Die einstmals zweitklassigen Kanzleien, die von Leuten gegründet worden waren, die zehn oder fünfzehn Jahre zuvor keinen Job in den Firmen der Wall Street
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