Ueberflieger
Condé-Nast-Hochhaus in Manhattan. Er ist klein und geht leicht gebückt. Sein großer Kopf wird von zwei riesigen Ohren eingerahmt, und seine schmalen, blauen Augen verbergen sich hinter einer überdimensionierten Brille. Heute ist er schlank, doch zu seinen besten Zeiten war er extrem übergewichtig. Flom watschelt beim Gehen, kritzelt beim Denken und nuschelt beim Sprechen, und wenn er die Flure von Skadden, Arps entlanggeht, verstummen die Gespräche.
Flom wuchs während der Weltwirtschaftskrise im Viertel Boroughs Park im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Sein Vater Isadore war Funktionär der Textilarbeitergewerkschaft und nähte später Schulterpolster für Damenkleider. Seine Mutter stickte zu Hause Applikationen auf Kleider. Sie waren bitterarm. Während Floms Kindheit zog seine Familie einmal im Jahr um, da Vermieter ihren Mietern damals im ersten Jahr einen Monat Miete nachließen, und nur so kamen sie überhaupt über die Runden.
Nach der achten Klasse bewarb sich Flom um einen Platz an der staatlichen Eliteschule Townsend Harris School an der Lexington Avenue in Manhattan, die in den gerade einmal 40 Jahren |106| ihres Bestehens drei Nobelpreisträger, sechs Pulitzerpreisträger und einen Verfassungsrichter hervorgebracht hatte, ganz zu schweigen von George Gershwin und Jonas Salk, dem Erfinder der Schluckimpfung. Er wurde angenommen. Seine Mutter drückte ihm jeden Morgen zehn Cent in die Hand, damit er sich unterwegs bei Nedick’s sein Frühstück kaufen konnte – drei Donuts, ein Glas Orangensaft und einen Kaffee. Nach Schulschluss schob er einen Handkarren durch das Textilviertel. Nach dem Erwerb der Hochschulreife belegte er zwei Jahre lang Abendkurse am City College in Manhattan (tagsüber arbeitete er), meldete sich zur Armee, leistete seinen Wehrdienst ab und bewarb sich an der Harvard University um einen Studienplatz im Fach Jura.
»Seit ich sechs Jahre alt war, wusste ich, dass ich Jura studieren wollte«, erzählt Flom. Er hatte zwar sein Studium am City College nicht abgeschlossen, doch Harvard nahm ihn trotzdem. »Warum? Ich habe ihnen einen Brief geschrieben und ihnen erklärt, warum ich das Beste seit geschnitten Brot bin«, erklärt Flom in seiner trockenen Art. Als er Ende der Vierzigerjahre in Harvard anfing, war er bekannt dafür, dass er sich nie Notizen machte. »Die meisten von uns haben diesen typischen Erstsemesterquatsch gemacht und in den Vorlesungen sorgfältig alles mitgeschrieben, die Mitschriften zu Hause zusammengefasst, die Zusammenfassung eingedampft und dann das Ganze noch mal auf winzigen Zettelchen in Stichpunkten notiert«, erinnert sich Floms Kommilitone Charles Haar. »So haben wir die Fälle auswendig gelernt. Nur Joe nicht. Der hatte keine Lust auf so was. Aber der hatte etwas, das man als ›Anwaltsdenke‹ bezeichnen könnte. Er hatte eine großartige Urteilsfähigkeit.«
Flom wurde in der Fachzeitschrift
Law Review
erwähnt – eine Ehre, die nur den Jahrgangsbesten vorbehalten war. Während der »Einstellungssaison« in den Weihnachtsferien seines zweiten Studienjahres ging er nach New York, um sich bei den großen Unternehmenskanzleien vorzustellen. »Ich war ein plumper, schwerfälliger und dicker Junge. Ich habe mich sehr unwohl gefühlt«, |107| erinnert sich Flom. »Ich war einer von zwei Jungs in meinem Jahrgang, die am Ende der Einstellungssaison keinen Job hatten. Dann hat mir eines Tages einer meiner Professoren von ein paar Jungs erzählt, die eine Kanzlei gründen wollten. Ich habe mich vorgestellt, und die ganze Zeit während unseres Gesprächs haben die mir nur gesagt, wie riskant es sei, in einer Kanzlei anzufangen, die noch keinen einzigen Klienten hat. Je mehr sie geredet haben, umso besser haben sie mir gefallen. Also habe ich gesagt, was soll’s, ich riskier’s. Sie hatten Schwierigkeiten, die 3 600 Dollar zusammenzukratzen, die ich im ersten Jahr bekommen sollte.« Zunächst bestand die Kanzlei lediglich aus Marshall Skadden, Leslie Arps (die beide von einer großen Kanzlei als mögliche Partner abgelehnt worden waren) und John Slate, der für die Fluggesellschaft PanAm gearbeitet hatte. Flom war ihr einziger Mitarbeiter. Sie hatten ein winziges Büro in der obersten Etage des Lehman Brothers Building an der Wall Street. »Welche Fälle wir übernommen haben?«, fragt Flom und lacht. »Was gerade zur Tür hereinkam!«
Im Jahr 1954 wurde Flom einer der Partner, und die Kanzlei
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