Ueberflieger
wieder, aufgeschlüsselt nach der Zugehörigkeit der Schüler zur Ober-, Mittel- und Unterschicht:
|225| Sehen wir uns die erste Spalte an. Am Ende der ersten Klasse weisen die Schüler erkennbare, wenngleich nicht überwältigend große Unterschiede auf. Die Erstklässler aus der Oberschicht haben gegenüber den ärmsten Kindern – die in Baltimore wirklich arm sind – einen Vorsprung von 32 Punkten. Machen wir nun einen Sprung in die letzte Spalte: Vier Jahre später hat sich der anfangs bescheidene Unterschied zwischen Arm und Reich mehr als verdoppelt.
Dieser Leistungsunterschied wurde wieder und wieder beobachtet und provoziert in der Regel zwei Reaktionen. Die erste besagt, Kinder aus sozial benachteiligten Familien verfügten einfach nicht über dieselben angeborenen Lernfähigkeiten wie Kinder aus privilegierten Familien. Mit anderen Worten: Arme Kinder sind dümmer. Die zweite, etwas optimistischere Schlussfolgerung besagt, unsere Schulen ließen die Kinder der Unterschicht im Stich: Sie seien nicht ausreichend darauf vorbereitet, sozial benachteiligten Kindern die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie benötigen. Doch an diesem Punkt wird Alexanders Untersuchung interessant, denn sie widerlegt beide Erklärungen.
Die Schulen von Baltimore ließen ihre Schüler den California Achievement Test nicht nur im Juni, also am Ende des Schuljahres, durchführen, sondern auch im September, kurz nach Ende der Sommerferien. Die Ergebnisse dieses zweiten Tests ermöglichten Alexander eine Variation seiner Analyse. Ein Vergleich der Ergebnisse vom September und dem darauffolgenden Juni zeigte, was die Kinder im Laufe des Schuljahres lernten. Und ein Vergleich der Ergebnisse vom Juni und dem darauffolgenden September zeigte, was die Kinder in den Sommerferien lernten. Auf diese Weise konnte er feststellen, inwieweit der Leistungsunterschied mit dem Unterricht selbst zusammenhing und inwieweit mit dem, was in den Sommerferien passierte.
Beginnen wir mit dem Wissenserwerb während des Schuljahrs. Die folgende Tabelle zeigt die Verbesserung der Lesekompetenz zwischen dem Beginn des Schuljahrs im September und dem Ende |226| im Juni. Die Spalte »Summe« am Ende gibt wieder, wie viel die Kinder aus fünf Jahren Schulunterricht mitnahmen.
Diese Tabelle erzählt eine ganz andere Geschichte als die vorherige. In der ersten Tabelle sah es noch so aus, als würden Kinder aus sozial benachteiligten Familien in der Schule weniger lernen. Doch nun sehen wir, dass das so nicht stimmen kann. Ein Blick auf die Summe zeigt, dass die Kinder der Unterschicht mit 189 Punkten mehr lernen als die Kinder der Oberschicht, die nur auf 184 Punkte kommen. Gegenüber der Mittelschicht liegen sie nur um wenige Punkte zurück, und in der zweiten Klasse lernen sie sogar mehr als die Kinder aus der Mittel- und der Oberschicht.
Sehen wir uns nun an, wie sich die Ergebnisse über die Sommerferien verändern.
Der Unterschied ist erstaunlich. Sehen wir uns die erste Spalte an. Wenn die Kinder aus den wohlhabenderen Familien nach ihren ersten Sommerferien im September zurück an die Schule kommen, hat sich ihre Lesekompetenz laut Test um 15 Punkte verbessert. Die Kinder aus den sozial benachteiligten Familien erzielen dagegen fast 4 Punkte weniger als vor den Ferien. Das heißt, dass |227| die armen Kinder zwar mehr aus dem Unterricht mitnehmen, jedoch in den Sommerferien gegenüber den privilegierten Kindern zurückfallen.
Sehen wir uns nun die letzte Spalte an, in der Zugewinne aus den Sommerferien von der ersten bis zur vierten Klasse addiert sind. Die Kinder aus der Unterschicht kommen hier auf ganze 0,26 Punkte. Das heißt, Kinder aus den sozial benachteiligten Familien lernen in den Ferien nichts dazu. Die Ergebnisse der Kinder aus wohlhabenderen Familien steigen dagegen um erstaunliche 52,49 Punkte. Der Vorsprung der reichen Kinder gegenüber den armen lässt sich also vollständig auf das zurückführen, was diese Kinder außerhalb der Schule lernen.
Was können wir daraus schließen? Es ist sehr gut möglich, dass dieser unterschiedliche Bildungserfolg eine Folge der unterschiedlichen Erziehungsstile der Eltern ist, die wir in Kapitel 4 kennengelernt haben. Erinnern wir uns an den neunjährigen Alex Williams aus Annette Lareaus Untersuchung. Seine Eltern glauben an »konzertierte Kultivierung«, sie nehmen ihn ins Museum mit, melden ihn zu außerschulischen Kursen an und schicken ihn während der Ferien in ein Sommercamp, wo er
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