Ueberflieger
Wochenenden und ihre Freunde opfern.
Noch einmal Marita mit einer Beschreibung, die einem das Herz brechen kann:
Also, als ich in die fünfte Klasse gekommen bin, hatte ich noch Kontakt zu einer Freundin von meiner alten Schule. Wenn ich freitags nach der Schule nach Hause bin, dann bin ich immer zu ihr und bin dageblieben, bis meine Mama von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Meine Freundin hat nie Hausaufgaben gehabt. Und sie hat immer zu mir gesagt: »Mein Gott, du hast so viel Schule!« Sie hat gesagt, sie will auch aufs KIPP, aber dann hat sie gesagt, das KIPP ist so schwer und sie will doch nicht. Ich habe ihr immer gesagt: »Alle behaupten, das KIPP ist so schwer, aber wenn du dich erst mal dran gewöhnst, ist es gar nicht schwer.« Aber sie hat gemeint, »Aber du bist ja auch intelligent«. Und dann hab ich zu ihr gesagt: »Nein, wir sind alle intelligent.« Aber es hat sie abgeschreckt, dass die Schule bis 5 Uhr geht und wir so viel Hausaufgaben haben. Ich habe ihr erklärt, die vielen Hausaufgaben helfen uns, in der Schule besser zu sein, aber sie hat nur gesagt, das will sie gar nicht hören. Ich habe jetzt nur noch Freunde vom KIPP.«
Die KIPP-Academy verlangt viel von einem zwölfjährigen Mädchen. Aber betrachten Sie die Situation aus Maritas Sicht. Sie hat mit ihrer Schule eine Art Handel geschlossen. Sie steht jeden Morgen um viertel vor sechs auf, geht samstags zur Schule und macht bis 11 Uhr abends Hausaufgaben. Im Gegenzug gibt die KIPP-Academy Kindern wie ihr die Chance, der Armut zu entkommen. Die Schule sorgt dafür, dass 84 Prozent ihrer Schüler in Mathematik entweder so gut sind wie der landesweite Durchschnitt oder besser. Aus diesem Grund bekommen 90 Prozent aller KIPP-Absolventen ein Stipendium für eine private High School und müssen keine der trostlosen High Schools in der Bronx besuchen. Dank |235| dieses High-School-Abschlusses nehmen mehr als 80 Prozent aller KIPP-Absolventen später ein Studium auf – häufig sind sie die ersten in ihrer Familie, die eine Berufsakademie oder eine Universität besuchen.
Ist das ein schlechtes Geschäft? Alles, was wir bislang in diesem Buch erfahren haben, belegt, dass Erfolg einen vorhersehbaren Weg nimmt. Die Erfolgreichsten sind nicht diejenigen mit dem höchsten Intelligenzquotienten. Wenn dem so wäre, dann wäre Chris Langan der neue Einstein. Erfolg ist auch nicht die Summe der Entscheidungen, die wir treffen, und der Anstrengungen, die wir unternehmen. Erfolg ist vielmehr ein Geschenk. Ein Überflieger wird, wer Chancen bekommen hat – und wer die Fähigkeiten und die Geistesgegenwart hatte, diese zu nutzen. Im Falle der Eishockey- und Fußballspieler waren es die im Januar Geborenen, die größere Chancen hatten, in eine Auswahlmannschaft aufgenommen zu werden. Die Beatles hatten Hamburg. Bill Gates wurde zum richtigen Zeitpunkt geboren und hatte in der Schule einen Computer zur Verfügung. Joe Flom und die Gründer von Wachtell, Lipton, Rosen and Katz hatten gleich mehrere Chancen: Sie wurden zum richtigen Zeitpunkt geboren, und ihre Eltern hatten die richtige Herkunft, weshalb sie 20 Jahre lang das Handwerk der feindlichen Unternehmensübernahmen erlernen konnten, ehe ihre feinen Anwaltskollegen das Geschäft erkannten. Und die Fluggesellschaft Korean Air gab bei ihrer Sanierung ihren Piloten eine Chance, dem Korsett ihres kulturellen Erbes zu entkommen.
Die Lehre, die wir aus alledem ziehen können, ist ganz einfach. Trotzdem wird sie erstaunlich oft übersehen. Wir glauben so sehr an unsere Mythen von den Besten, den Klügsten und den Selfmademen, dass wir meinen, Überflieger würden einfach so aus dem Boden wachsen. Wir sehen Bill Gates und staunen, wie es unsere Welt einem Dreizehnjährigen ermöglichen konnte, ein märchenhaft erfolgreicher Unternehmer zu werden. Aber das ist genau die falsche Lehre. Unsere Welt gab einem Dreizehnjährigen im Jahr 1968 unbegrenzten Zugang zu einem Computer. Wenn |236| eine Million Teenager die gleiche Möglichkeit gehabt hätten, wie viele Microsofts gäbe es dann heute? Wenn wir eine bessere und gerechtere Welt wollen, dann müssen wir dieses System der glücklichen Zufälle – das richtige Geburtsdatum oder eine zufällige historische Konstellation – durch eine Gesellschaft ersetzen, die allen die gleichen Möglichkeiten eröffnet. Wenn es beispielsweise in Kanada eine zweite Eishockeyliga für die in der zweiten Jahreshälfte geborenen Kinder gäbe, dann gäbe es heute doppelt so viele
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