Ueberflieger
Eishockeystars. Übertragen Sie nun diesen plötzlichen Talentschub auf sämtliche Gebiete und Berufe. Die Welt könnte sehr viel reicher sein als die, mit der wir uns heute zufriedengeben. Marita braucht kein neues Schulgebäude mit einem mehrere Hektar großen Sportgelände und funkelnagelneuen Anlagen. Sie braucht kein Laptop, keine kleineren Klassen, keine promovierten Lehrer und keine größere Wohnung. Sie braucht auch nicht den Intelligenzquotienten eines Chris Langan. Das alles wäre natürlich sehr schön, aber es geht am Wesentlichen vorbei. Marita braucht lediglich eine
Chance.
Und sehen wir uns diese Chance an! Jemand brachte ein Reisfeld in den Süden der Bronx und erklärte ihr das Wunder der sinnvollen Arbeit.
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KIPP steht für »Knowledge Is Power Program« – das Programm »Wissen ist Macht«.
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|237| Epilog
Eine Geschichte aus Jamaika
»Kommt farbiger Nachwuchs zur Welt, wird dieser für frei erklärt.«
1.
Am 9. September 1931 brachte eine junge Frau namens Daisy Nation zwei Töchter zur Welt. Sie und ihr Mann Donald waren Lehrer in einem kleinen Dorf namens Harewood in der Kirchengemeinde von Saint Catherine’s im Landesinneren von Jamaika. Als Donald erfuhr, dass er der Vater von Zwillingen geworden war, sank er auf die Knie und legte das Leben der Mädchen in Gottes Hand.
Die Nations lebten in einer kleinen Hütte auf dem Gelände der anglikanischen Kirche von Harewood. Das Schulgebäude, ein langgestreckter Schuppen mit nur einem Raum, befand sich gleich nebenan. An manchen Tagen saßen bis zu 300 Kinder im Schulraum, an anderen weniger als zwei Dutzend. Die Kinder lasen laut vor oder sagten auswendig gelernte Multiplikationstabellen auf. Sie schrieben auf Schiefertafeln. Wann immer möglich, fand der Unterricht draußen unter den Mangobäumen statt. Wenn die Kinder herumtollten, lief Donald Nation durch die Reihen und schwang einen Lederriemen, während die Kinder zu ihren Plätzen zurückliefen.
Donald Nation war ein stattlicher Mann, still und würdevoll und ein ausgesprochener Bücherliebhaber. In seiner kleinen Bibliothek standen Dichter und Philosophen neben Romanautoren wie Somerset Maugham. Jeden Tag studierte er die Zeitung, um sich über das Weltgeschehen auf dem Laufenden zu halten. Abends besuchte |238| ihn sein Freund, der anglikanische Erzdiakon Hay, der auf der anderen Seite des Hügels lebte. Zusammen saßen sie auf Donalds Veranda und sprachen über die Probleme Jamaikas. Donalds Frau Daisy kam aus der Gemeinde Saint Elizabeth. Sie war eine geborene Ford, und ihr Vater hatte ein kleines Lebensmittelgeschäft besessen. Sie war eine von drei Schwestern und weit und breit für ihre Schönheit berühmt.
Im Alter von elf Jahren erhielten die Zwillinge ein Stipendium für ein Internat namens Saint Hilda’s nahe der Nordküste der Insel. Saint Hilda’s war eine konfessionsgebundene Privatschule, die für die Töchter von anglikanischen Priestern, Großgrundbesitzern und Vorarbeitern eingerichtet worden war. Nach Abschluss ihrer Schulausbildung bewarben sich die Schwestern am University College in London und erhielten dort einen Studienplatz. Kaum in London angekommen, wurde Joyce zur Feier des 21. Geburtstags eines jungen englischen Mathematikers namens Graham eingeladen. Graham stellte sich vor seine Gäste, um ein Gedicht aufzusagen, und vergaß vor Aufregung seinen Text; Joyce schämte sich für ihn, obwohl sie gar keinen Grund hatte, denn sie kannte ihn gar nicht. Joyce und Graham verliebten sich ineinander, heirateten und zogen nach Kanada. Graham war Professor für Mathematik, Joyce wurde eine erfolgreiche Buchautorin und Familientherapeutin. Die beiden hatten drei Söhne und ein wunderschönes Haus auf einem Hügel auf dem Land. Graham heißt mit Nachnamen Gladwell. Er ist mein Vater, und Joyce Gladwell ist meine Mutter.
2.
Dies ist die Erfolgsgeschichte meiner Mutter. Doch sie stimmt so nicht. Sie ist zwar nicht erfunden, doch sie ist genauso falsch wie eine Geschichte von Bill Gates, die den Computer in Lakeside verschweigt, oder eine Geschichte der asiatischen Mathematikgenies, in der keine Reisfelder vorkommen. Die Geschichte, wie ich sie eben erzählt habe, unterschlägt die zahlreichen Möglichkeiten |239| und Chancen, die meine Mutter erhielt, genauso wie die zentrale Rolle ihres kulturellen Erbes.
Im Jahr 1935, als meine Mutter und ihre Schwester vier Jahre alt waren, kam ein Historiker namens William M. MacMillan nach Jamaika. Er
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