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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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des Menschen diskutieren, doch mit einem Gelehrten, nicht mit dir!«
    Die Umstehenden lachten, eine Stimme rief: »Schulmeister! Zeig dem Mönchskittel, wie scharf du bist!«
    Wendel erkannte nicht, wer gerufen hatte. Sie begriff den Streit nicht, fühlte nur die gehässige Feindschaft des einen und den mühsam beherrschten Zorn des Lehrers und sah den Vikar, der sein Gesicht schützte.
    »Auseinander!« Vom Markt her. Ehe die Büttel näher kamen, kehrten die Neugierigen um, liefen und zerstreuten sich in der Menge. Es gab keinen Aufruhr am Markttag, zufrieden setzten die Gewaltdiener ihre Runde fort.
    Der Mönch blies die Wangen. »Bald wird dir in Wesel niemand mehr ein Stück Brot geben«, reckte den Kopf vor und nickte zu den Jungen hinüber, die mit erschreckten Augen dastanden, »Clarenbach, mit deinen ketzerischen Umtrieben wirst du in der Schule keine Kinder mehr verführen. Wie eine Pestbeule schneiden wir dich aus dieser Stadt.«
    »Ohne den Rat könnt ihr mir nichts anhaben.«
    »Dein Schiff sinkt, Clarenbach. So wie man dich vor zwei Jahren aus Münster verjagt hat, so werden dich die rechtschaffenen Gläubigen auch aus Wesel hinauswerfen. Du verlierst Schutz und Geleit.« Kurz klatschte der Mönch die Hände zusammen. »Wir werden euch aufspüren, wo ihr auch seid.« Er zeigte auf Klopreis. »Lass die Hand ruhig sinken. Auch dein Gesicht kenne ich und vergesse es nicht. Herr Vikar aus Büderich!« Er ging beinah tänzelnd davon.
    Clarenbach schlug die Faust in seine offene Linke. »Dieser Kerl weiß etwas. Sonst würde er es nicht wagen.«
    Klopreis hob die Schultern. »Vielleicht hat der Rat doch gegen dich entschieden.«
    »Niemals. Nein, gerade hier in Wesel hat die neue Lehre guten Boden gefunden. Auch im Rat der Stadt sitzen einige von uns, unsere Brüder. Und sie werden für mich kämpfen«, so beschwor der Konrektor seine Unsicherheit. Die Augen brannten in dem bleichen Gesicht, die Haut spannte über den Wangenknochen, Clarenbach presste die Lippen aufeinander und rieb mit dem Handrücken den knappen Bart unter seinem Kinn. »Gott lässt uns nicht im Stich. Ich weiß es.« Er bedeutete seinen Schülern zu folgen und schritt über den Platz, den Kopf erhoben.
    »Du bist aus Büderich.«
    »Ja, Vater.« Wendel stockte. Nein, er hatte nicht gefragt, es nur gesagt, und ich habe weder die Augen noch den Kopf gesenkt.
    »Das bin ich nicht. Unser Vater ist im Himmel.«
    Das »Vater« habe ich nur gesagt, weil man es so sagt, wenn man mit einem Priester spricht. Er sieht auch nicht aus wie ein Vater, und mein Vater würde es mir verbieten, mit dir zu sprechen.
    »Am Sonntag predige ich.«
    »Ich gehe in die Messe, wie es sich gehört.« Sie wollte seinen Blick abschütteln, doch es gelang nicht.
    »Und hast du mich gehört?«
    Wieso fragt er? Schon fühlte sie die heiße Welle, wehrte sich vergeblich, und das Blut glühte in ihrem Gesicht. Wenn der Kaplan vorn am Altar beide Hände hob, seine Stimme drohte, wenn der Vater neben ihr plötzlich die Fäuste ballte, dann blieb ihr nichts anderes, als den Worten der Predigt zu folgen. Sprach er aber ruhig und verlief die Messe wie gewohnt, schickte Wendel ihre Gedanken spazieren. Sie bestiegen eins der Handelsschiffe, fuhren den Rhein hinauf nach Köln oder reisten bis nach Rotterdam, lebten in fremden Städten, die nur ihren Gedanken bekannt waren. Nein, sie hatte der Predigt des Vikars noch nie ganz zugehört. Warum auch? Wenn ich in der Kirche war, habe ich meine Christenpflicht erfüllt, das genügt doch!
    »Am Sonntag höre ich zu.« Heftig nickte sie, griff ihren Korb und ging, beeilte sich, bis sie die Sicherheit der Marktstände erreicht hatte. Am hochgebockten Brett des Kerzenziehers blieb sie stehen, starrte die goldgelben Strünke an, die langen Dochte, dachte an Bienenstöcke, an die Waben, die um einen Faden gewickelt zu Kerzen werden. »Willst du?« Erschreckt starrte sie den zerlumpten Kerzenmacher an. Nein, sie wollte nicht.
    Ziellos wanderte Wendel durch die Marktreihen, sie versuchte, ihre Unruhe zu unterdrücken, fand endlich die Erklärung. »Kein Wunder«, flüsterte sie und zählte den Tag zusammen: Aga auf der Fähre, das Unglück, dem sie glücklich entkommen waren. Dieser ekelhafte Kerl mit dem Aal, dann vorhin der Franziskaner aus Dorsten! Nur Gift und Hass. Und der Schulmeister wollte nicht kämpfen. Außerdem ist es so heiß wie im Sommer und schwül. »Kein Wunder, dass ich so durcheinander bin.« Sie beschloss, das Gemüse zu

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