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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Altar des heiligen Sebastian. Sein flachsblondes Haar war nicht lang, doch ungezähmte Locken krausten um seinen Kopf. Teufelshörner, Schafspelz oder Heiligenschein, Wendel konnte sich nicht entscheiden. In den wenigen Monaten, die er im Hause des Pfarrers Beust wohnte, hatte er die Bürgerschaft aufgewühlt. Begeisterung, Unsicherheit und offene Feindschaft wurden dem jungen Kaplan entgegengebracht. Nicht die Feier der Messe, seine Predigt rüttelte an den Grundfesten der Gemeinde. Dieser Johann Klopreis sprach vom Evangelium, als hätte er es selbst geschrieben. Nur das Wort Gottes ist die Wahrheit und nichts sonst! Kein gutes Haar ließ er an den Mönchen, Bischöfen und dem Heiligen Vater in Rom.
    Wendel schob die Ärmel ihres Hemdes wieder bis zu den Handgelenken. Ob der Kaplan wirklich versucht hatte, sein Haar zu stutzen, wie es sich für einen Priester geziemte, nur dass die Locken nicht zu bändigen waren? Sie sah ihn vor seinem Altar stehen. Seine Stimme hallte durch die Kirche. »Viele dieser feisten Pfaffen, diese Pfründejäger, erkennt man nur an der Kutte und den gestutzten Haaren, tonsiert, züchtig geschoren wie die Schafe. Mit dem Äußeren geben sie sich als Diener Gottes! Im Innern aber geilen sie wie Böcke und gieren wie die Wucherer!« Er ballte die Fäuste. »Ich habe gelesen: Das heilige Kleid allein hilft der Seele nichts, sondern nur der Glaube. Es schadet auch der Seele nichts, wenn der Leib unheilige Kleider trägt, wenn sie nur erfüllt ist von Gottes Wort.« Wendel zog das Mieder über den Rockbund. Vielleicht hat er sein Haar mit Absicht nicht gestutzt.
    Sechs sauber gekleidete Jungen waren aus der Kirche gefolgt und stellten sich hinter den anderen Mann, dessen Mantel bis zu den Knöcheln reichte. Ein Handzeichen, und sie folgten beiden Männern. Dieser Hagere in der langen schwarzen Schaube ist sicher Lehrer an der Lateinschule. Kleider sind doch wichtig, Herr Kaplan, am Rock sehe ich, was einer ist, die Seele kann ich von weitem nicht erkennen, das kann niemand.
    Zielstrebig kam die Gruppe auf sie zu und blieb am Brunnen stehen. Nach einem stummen Gruß zu Wendel winkte der Schulmeister seinen Jungen. »Trinkt. Das Messesingen macht durstig.« Wie erlöst stürzten sie zum Brunnenrand und beugten sich über das Wasser.
    Unbefangen betrachtete der Kaplan die junge Frau, runzelte die Stirn, erst als Wendel ihm offen ins Gesicht sah, senkte er die Lider für einen kurzen Moment, doch dann erwiderte er den Blick.
    So darf kein Priester eine Frau ansehen. Sie war nicht empört, nur verwundert. Diese hellen Augen kannte Wendel aus der Kirche, wenn sie neben den Eltern stand und aus sicherer Entfernung den Vikar vor dem Altar beobachtete. So nah, so dicht vor mir, darf er mich nicht so anblicken. Vielleicht überlegt er nur, wo er mich schon einmal gesehen hat. Ihre Sicherheit kehrte zurück. Aber ich sag es nicht. Heute ist kein Sonntag, und ich bin nicht in Büderich.
    Jäh brach die Verbindung, aufgeschreckt starrte der Vikar an Wendel vorbei. »Gib acht, Adolph«, warnte er leise. Das Gesicht des Lehrers spannte sich. Ehe Wendel den Kopf wenden konnte, schob sich ein Mönch an ihr vorbei, blieb zwei Schritt vor dem hageren Mann stehen und breitete die Arme aus. »Das ist gottgefällig. Nach dem Singen des Ite-missa-est führt der Konrektor Clarenbach seine Schafe zur Tränke.« Ölig tropften die Worte.
    Nach einem raschen Blick zum Markttreiben hinüber trat der Schulmeister dem Mönch entgegen. »Überwachen die frommen Franziskaner aus Dorsten jetzt auch meine Schüler?« Erregung schürte seine Stimme. »Ihr aus diesem Kloster, ihr Observanten, dient nicht Gott, nur der Inquisition. Handlanger seid ihr!«
    Leute wurden aufmerksam, Neugierde trieb einige näher. Erst als sie in Hörweite waren, empörte sich der Franziskaner: »Du beleidigst unseren Orden!«
    »Nicht den Orden, nur die, die ihm nicht wahrhaft dienen!«
    Klopreis wandte sich halb ab und schirmte das Gesicht mit der Hand. »Sag nichts, Adolph. Jede öffentliche Disputation ist dir vom Rat untersagt. Lass dich nicht hinreißen. Schweig, ich bitte dich, Bruder.«
    Fahrig griff der Schulmeister in seinen Kinnbart, presste drei Finger an die Lippen und atmete heftig, es gelang ihm zu schweigen.
    Voll mitleidigem Spott schüttelte der Mönch den Kopf. »Du verlangst nach einem Streitgespräch und stehst da wie ein stummer Tölpel!«
    »Selig sind, die … Nein, nicht hier. Du hast Recht, ich will über den freien Willen

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