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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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kaufen und sich auf den Heimweg zu machen. »Erst aber suche ich mir eine Ecke, eine Ecke, die brauche ich zuerst.«
    Sankt Willibrord bot Nischen und geschützte Winkel, an der Nordseite, im Schatten der Friedhofsmauer, entdeckte Wendel zwei Bäuerinnen. Sie hockten und hatten die weiten Röcke wie Zelte um sich gebreitet. Zwischen ihnen lag ein prächtiger Kohlkopf. Die Ältere zeterte, und die junge Bäuerin fiel ihr laut ins Wort.
    »Hock dich her, Kind.« Mit dem Kopf wies ihr die Alte den Grasplatz neben sich an. Sie warteten, bis Wendel den Korb abgesetzt und sich eingerichtet hatte. »Was meinst du?« Der Finger zeigte auf den Kohl. »Ist er nicht zu schade?«
    Ehe Wendel fragen oder antworten konnte, stöhnte die Jüngere auf. »Mir gehört der Kohl, Mutter. Und ich mach mit dem Kopf, was ich will.«
    »Halt’s Maul. Ich frag die Kleine!« Der Finger umkreiste den Kohl, einen festen Kopf, gekränzt mit sattem aufgeblättertem Grün. »Das ist eine Gottesgabe. Den darf man nicht verschwenden, der muss verkauft werden.«
    »Ich verstehe nicht, worum es geht?«
    »Es geht ums Arschwischen. Meine Mutter meint, mit Gras geht es genauso gut.«
    Wendel kicherte, als sie das empörte alte Gesicht sah, bemühte sie sich um Fassung, doch die junge Bäuerin lachte jetzt los, schwärzliche Zahnstummel, sie lachte so ansteckend, dass Wendel mitgerissen wurde. Hoch reckte die Mutter den Finger. Das Lachen erstarb. »Wer Gottesgaben wegwirft, dem soll die Hand verdorren!«
    »Schweig und beschrei’s nicht wie eine Hexe! Ich werf den Kohl nicht weg.« Mit dem losen Ende des Kopftuchs wischte die Tochter den Schweiß von der Stirn und wandte sich an Wendel: »Die Ernte war gut in diesem Jahr. Obwohl das Geld immer weniger wert ist, stehen wir uns besser als im letzten Herbst. Wenn ich schon auf dem Markt bin, dann will ich es auch gut haben. So fein, wie’s geht.«
    »Verschwenderin! Aber die Seelenmesse für den Bauern willst du nicht zahlen, wie es sich gehört. Da gehst du zu diesen neuen Predigern, nur weil du’s umsonst kriegst. Lässt deinen armen Vater im Feuer. Du versündigst dich und hörst auf diese Gotteslästerer, die alles besser wissen.«
    »Das ist es also. Und nicht der Kohl da. Ich sag dir, Mutter, unser Herrgott ist gut. Er wird den Bauern in den Himmel aufnehmen. Dafür brauchen wir nichts zu bezahlen. Wenn diese geldgeilen Pfaffen so fett wie mein Kohl auf dem Feld stehen würden, ich würd sie mit dem Messer stechen! Und jetzt ist Schluss. Du kannst ja Gras nehmen.« Damit riss sie ein Büschel aus und hielt es der Alten hin.
    Die zögerte. »Seit du den Hof führst …«
    »Kein Wort mehr. Ich arbeite und bete, genau wie du.« Die Tochter warf das Gras über ihre Schulter, beugte sich nach dem Kohl und brach eins der äußeren Blätter ab. »Hier, Kind.« Das zweite behielt sie selbst und reichte ihrer Mutter das nächste, widerstrebend nahm es die Alte.
    Als sie aufstanden, wog die Tochter den Kohlkopf in der Hand. »Nur auf dieser Seite ist er nackt und glatt wie ein Winterkohl. Ich leg ihn mit den Blättern nach oben, das merkt keiner.«
    Wendel begleitete die Frauen zu ihrem Stand. »Möhren und Erbsen nehm ich mit.« Sie atmete und sagte ruhig: »Keinen Kohl heute, auch wenn er so schön fett ist.« Dann lachte sie.
    Die Bäuerin rieb die Hände. »Du bist richtig, Kind.« Bis zum Rand füllte sie den Korb und machte einen guten Preis. Staunend bedankte sich Wendel und wollte gehen, als die große Frau sie festhielt, dicht neben ihrem Ohr raunte sie: »Ich hab dich vorhin am Brunnen gesehen, bei den Brüdern. Du gehörst doch auch zu uns?«
    Wie ein Stich traf die Frage. Natürlich, alle haben mich gesehen, wie ich mit dem Kaplan gesprochen habe. Er steht unter Verdacht, das hat der Mönch doch gesagt. Diese neue Lehre! Dabei weiß ich nicht mehr als jeder hier. Wenn mich einer aus Büderich am Brunnen gesehen hat, zusammen mit dem Lehrer und dem Vikar, dann muss er mich doch verdächtigen, und das erfährt der Vater sofort. »Ich weiß von nichts.« Sie schluckte, das Sprechen würgte sie. »Ich habe keine Brüder.«
    »Ruhig, Kindchen.« Die kräftige Bäuerin löste den Griff, strich Wendel leicht über den Rücken und schickte sie auf den Weg. »Gott befohlen, Kleine.«
    Ohne Gruß floh Wendel quer über den Marktplatz. »Aga.« Sie schmiegte die Wange an die weiche Haut über den Nüstern und blieb so, kostete die Nähe wie einen Schutz.
    Nur einen Moment, dann hatte das Erlebte sie

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