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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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eingeholt.
    »Ich habe mir nichts vorzuwerfen, nur das ist wichtig.« Immer wieder flüsterte sie den Satz vor sich hin, bis sie laut fortfuhr: »Was die Leute reden, kümmert mich nicht.« Entschlossen richtete sich Wendel auf, über ihr hing der Himmel wie ein grauer Amboss. Sie band die Stute los und befestigte den Korb an den Hörnern des Kummets. »Vorwärts, Aga. Vielleicht kommen wir noch vor dem Gewitter über den Rhein.«
    Als sie die Stadt durch das Tor verließ, achtete Wendel nicht auf die begehrlichen Blicke der Wachposten.
    *

N och weit entfernt. Gedämpftes Grollen rollte von Westen her durch die aufgetürmten Wolkenriesen. Vor dem Ablegen hatte der Fährmann das Amulett herausgezogen, den kleinen durchbohrten Stein an die Lippen gedrückt und wieder auf seiner Brust verborgen. Dieser Splitter eines Donnerkeils schützte vor Blitzschlag.
    »Dass mir keiner pfeift!« Wendel war es nicht gelungen, sich ganz dem Sog der Strömung hinzugeben, zu sehr hielten die Gedanken sie fest. Ruhig schrieb die Ponte den weiten Bogen in das Wasser, kein Wind, nur träge Wellen, die Schwüle lahmte den Fluss, und trotz Zorn und Gepolter über ihr stand Aga unbeweglich wie eine warme Statue. Voller Ungeduld sehnte Wendel das Ufer herbei, und als die Fähre sich knirschend in den Kiesweg schob, glaubte sie das Diesseits erreicht zu haben.
    »Kommst trocken nach Büderich. Mädchen. Das Wetter steht still, ich fühl’s.«
    Wendel sah fest in das unveränderliche Gesicht und seufzte. »Weißt du, Reinhold …» Beschämt hielt sie inne. Für einen Augenblick war sie versucht, ihre Last mit ihm zu teilen. Welche Last? Ohne innere Ordnung gab es keine Worte, die sie aussprechen konnte. »Danke, Reinhold. Schreib den Fährlohn an.«
    Niedrige Sträucher säumten die Straße. Aga stapfte auf dem breiten Kamm zwischen den Wagenfurchen. Der schwere Gang hüllte bei jedem Tritt die Hufe in Staubwolken. Den Kopf vorgereckt, drängte die Stute nach Büderich, und Wendel hatte Mühe, neben ihr in der tiefen Spur Schritt zu halten.
    Über ihnen löste ein Grollen das nächste aus. »Der Herrgott jagt den Teufel, Aga. Das ist nicht gefährlich.« Doch das nahe Ziel trieb die Stute weiter, außer Atem griff Wendel in das Zaumzeug und zwang Aga zum Stillstand. »Nimm mich mit.« Sie warf einen Blick zurück, sah nach vorn bis zu der rötlichen Stadtmauer hinüber. Niemand folgte vom Rhein her, niemand kam ihr von Büderich entgegen. Wendel raffte den Rock, hielt sich mit der anderen Hand am Halsjoch, setzte einen Fuß in den Ring der losen Geschirrkette und schwang sich auf den breiten Rücken. Wie oft hatte sie Aga so geritten, im Sitz der Männer, auch wenn es der Vater nicht gern sah, immer hatte sie eine Erklärung gefunden, warum sie so saß und nicht, wie es sich gehörte. Sie tippte die Fersen an den warmen Bauch, und Aga verstand.
    Er hat mich angesehen wie ein Kerl, und nicht wie ein Kaplan. Sie richtete den Oberkörper auf. Priester sind auch Männer. Hier auf dieser Seite des Rheins, so nah an Büderich, lockerte sich die beklemmende Enge der vergangenen Stunden. Wenn der Vater wüsste, dass ich mit dem Vikar gesprochen habe. Wendel lachte leise. Der Vater hatte nichts gegen die jungen Burschen, die sich um sie bemühten, doch ausgerechnet dieser Klopreis.
    »Die gespaltene Zunge sollte man ihm ausreißen«, hatte der Wagner beim Verlassen der Kirche gedroht und war im Sturmschritt nach Hause geeilt. Nein, das Sonntagsessen konnte warten. »Der Pfarrhof ist ein Schlangennest. Ich weiß es, und unser Pastor Beust zieht die Brut auf. Weder die Schöffen noch die Männer vom Stadtrat schreiten ein, diese halbherzigen Ducker! Jemand sollte endlich unserm Herzog Johann die Augen öffnen. Aus der ganzen Gegend kriechen die Sektierer, dieses studierte Gesindel, in den Wiedemhof zum Pastor, da brauen sie gemeinsam das Gift gegen die Heilige Kirche.«
    Wenn der Vater sich über die Zustände in der Stadt oder gar im Land erregte, schwiegen Wendel und die Mutter, so entlud sich das Wetter in einem Schwall und zog sich nicht hin. Wie immer gab der Wagenmacher noch der Lutherei alle Schuld an dem furchtbaren Bauernaufstand im Frühling des Jahres, dann hob er die Hände. »Wir sollten Gott und dem Herzog auf Knien danken, dass die Blutwelle des Aufruhrs nicht bis an den Niederrhein geschwappt ist«, und rief seinen Frauen zu: »Hütet euch vor diesen giftigen Zungen der Ketzerei!« Erst dann hatte der Vater das Tischgebet gesprochen,

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