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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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ist meine Pflicht, sie zu entdecken. Zu dir, mein schönes Kind. Erinnerst du dich an diesen bleichen Clarenbach?«
    Wendel hob die Schultern.
    »Uns ist längst bekannt, dass sich dieses Pack in eurer Pastorei heimlich zusammenfindet. Der verdammte Schulmeister ist ein Kopf der Verschwörung. Bis zum Rheintor bin ich ihm gefolgt, doch im Gedränge des Jahrmarktes habe ich ihn verloren. Wenn du ihn siehst, diese Teufelsaugen vergisst man nicht, merke dir, mit wem er zusammen ist und wo er hingeht. Für meinen Bericht brauche ich Zeugen. Ich werde wiederkommen und dich fragen.« Unentwegt tätschelte er den Kopf der Mutter. »Und was den Kaplan betrifft, dieser Klopreis reißt sein Maul unflätig auf. Ungestraft! Schlimmer noch, die Stadt hat ihm sogar 40 Gulden fürs Jahr ausgesetzt. Und nur, weil der Pfarrer ihn deckt und weil der Leibhaftige ihm die Zunge führt. Nur so konnte er einige der einflussreichen Bürger auf seine Seite ziehen! Das hohe Gericht der Inquisition hat Eisenhände, und es wird ihm die Kehle zerquetschen. Noch sammele ich, bald aber habe ich Beweise genug.« Er lachte siegessicher. »Haltet Ohren und Augen offen. Wir sind jetzt Verbündete im Kampf gegen die Sünde. Mein Kloster wird euch mit Güte beschenken.«
    Ein aufgerissener Wolfsrachen, alles in Wendel wehrte sich, nicht verschlungen zu werden. »Wir brauchen Zeit, ehrwürdiger Vater.«
    Er schwieg und lauerte sie an. »Der Handel ist mit deiner Mutter schon besprochen.« Willenlos saß die Witwe unter seiner Hand.
    »Mein Vater ist gerade tot, das Grab noch frisch. Wir müssen in der Nähe bleiben. Ein Jahr werden wir die Werkstatt allein führen, das war sein Wille. Dann erst können wir entscheiden.«
    Sanft strich er über den Kopf der Frau. »Willst du das auch?« Als die Mutter nickte, schnappten seine Finger zusammen, er verbarg die Faust hinter dem Rücken. »Ich komme wieder«, und an der Tür, »Gott mit euch, meine Töchter.«
    Wendel horchte, beobachtete am Fenster, wie er über den Hof eilte, und wartete, bis sie ihn nicht mehr sah. »Ich muss fort.« Sie griff nach ihrem Kopftuch. »Verriegel die Tür. Ich bin bald zurück.«
    Die Mutter saß nur da und blickte auf die hellgescheuerte Tischplatte.
    *

D raußen war Jahrmarkt. Die meisten Kaufleute hatten ihre Buden und Stände verschlossen, der Nachmittag gehörte den Gauklern, Spielleuten und Akrobaten. Der plötzliche Anblick der bunten Bänder, das Auf und Ab des Lärms nahmen Wendel den Atem. Sie presste die Hand unter die Brust. Der Marktplatz schien ihr in einen brodelnden Teich verwandelt, und heute war Fütterung. Getier und Gewürm schnappten nach den Brocken und wühlten das Wasser auf.
    Gleich am Rand, vor dem Weinhaus umlagerte eine Menschentraube das große Fass, Becher wurden gereckt. Wendel schob sich vorbei und tauchte in die Menge. Sie wollte zur Kirche hinüber und musste den Platz durchqueren. Betrunkene Burschen fassten nach ihr, sie riss sich los, ein Bär an der Kette tapste nach Trommel und Doppelflöte, Taschenspieler in Hut und weitem Mantel verblüfften die Gaffer mit Zauberstücken, Wendel glitt weiter, wollte dem Tanz ausweichen, die Melodie der Fiedel trieb die jauchzenden Tänzer zu immer schnelleren Hüpfern und Sprüngen, Hände zerrten Wendel in den Kreis, sie schüttelte sie ab, weiter, so weit war die Kirche noch entfernt, Wendel stockte jäh, wie eine Kugel rollte ein Wesen direkt auf sie zu, schlug gegen ihre Beine, entknäulte sich, reichte ihr bis zur Hüfte, Wendel schrie, von unten lachte ein Totenschädel sie an. »Du gefällst mir!«, krächzte der Zwerg, stieß sich mit Knochenhänden an ihrem Schoß ab und rollte rückwärts zu seinen beiden kleinwüchsigen Mitspielern. Sie drängten die Riesenköpfe zusammen, maskiert wie Totenschädel, und lockten Wendel, auf den Handrücken waren bleiche Knöchelchen befestigt.
    Entsetzt durchbrach Wendel den Ring der genüsslich schaudernden Leute. Eine Vettel pries ihre Kinder an, sammelte Geld für die große Darbietung der beiden verkrüppelten Mädchen, nur mit den Füßen würden sie Äpfel schälen und andere Hausarbeit vorführen. Weiter! In einem Bretterpferch jagten drei blinde Bettler ein Ferkel, versuchten es mit Knüppeln zu erschlagen und schlugen sich gegenseitig auf die Köpfe, stießen sich in den Leib, brüllten voller Gier, denn wer das Ferkel erlegte, durfte es behalten, und die Zuschauer grölten.
    Endlich, die Kirche. Schwer atmend blieb Wendel am anderen Ufer des

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