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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Jahrmarktes stehen und blickte zurück. Jedes Jahr hatte sie diesen Trubel herbeigesehnt, noch vor einem Monat hatte sie sich auf jedes kleine Fest des großen Festes gefreut, das Büderich einmal im Jahr emporschleuderte. Doch heute sah sie nur derbe Lust und Tollheit, fühlte, wie Ekel sie würgte. Es ist nicht nur der Kummer, ich weiß es. Da lachen und tanzen die guten Bürger, die Armen und Fremden, jeder, der seinen Platz weiß, darf heute ausgelassen sein. Ich habe keinen Platz mehr, jetzt sehe ich euch zu. Und der Vater ist kaum mehr als eine Woche tot! Mit den Fäusten wischte sie die Augen und wandte sich ab.
    Hinter der Petruskirche, gleich nach der Friedhofsmauer begann das Widern der Pastorei. Hier im Hof, zwischen Pfarrhaus und den strohgedeckten, aneinander geklebten Lehmhütten, in denen die Vikare untergebracht waren, klang der Festlärm gedämpft wie Kampfgetümmel weit vor dem Schutz wall. Vorsichtig pochte Wendel an der Wohnung des Kaplans. Lange regte sich nichts, sie hob wieder die Hand, da näherten sich Schritte von innen. »Wer ist da?«
    »Wendel Heix.«
    Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet. In seinem Gesicht stritten Erstaunen und freudige Überraschung.
    »Bitte, ehrwürdiger …« Wendel schluckte. »Ich muss dich sprechen, Kaplan.«
    »Warte.« Er schloss den Spalt.
    Durch die festgefügten Bretter hörte ihn Wendel reden, ohne die Worte zu verstehen, hörte die Antwort eines anderen Mannes. Der Lehrer ist hier! Sie hatte es geahnt, sogar erwartet, und doch erschreckte sie die Wirklichkeit. Die Schritte kehrten zurück, und Johann Klopreis drängte sich aus der Tür nach draußen. Mit Mühe gelang ihm das teilnahmslose Gesicht eines Priesters. »Was ist? Deine Mutter?«
    »Nein, nein. Die Mutter ist daheim.«
    Gleich wurden seine Augen warm und voller Hoffnung. Dieser Blick, sein ganzer Anblick verwirrte Wendel, zum ersten Mal sah sie ihn ohne das Gewand. Nur in Hosen, die unter dem Knie gebunden waren, und einem Schnürhemd stand er vor ihr. Zwischen den Lederschlaufen schimmerte die Haut seiner Brust. Ohne Rock ist er kein Priester, ging es Wendel durch den Kopf, nichts hat er mehr von einem Pfaffen, der Gedanke blieb viel zu lange.
    »Wendel. Warum kommst du her?«
    Ertappt wachte sie auf, zeigte zur Tür. »Er ist in Gefahr.«
    »Wer?«
    »Der Lehrer.«
    »Woher weißt du?«
    »Bitte«, unterbrach sie und flüsterte: »Du auch, ihr beide seid in Gefahr. Dieser Mönch vom Markt, der aus Dorsten, der war heute bei uns. Er hat nach euch gefragt, euch mit schrecklichen Flüchen verdammt. Er belauert euch, deshalb bin ich hier.«
    »Und wenn schon. In Büderich sind wir sicher.«
    »Wie lange noch?« Bitter lachte Wendel.
    Der Kaplan nahm ihre Hand. »Komm.« Und ohne zu zögern, ließ sich Wendel führen. Ein stickiger Raum, in der Feuerstelle verglühten Holzreste, auf dem Tisch flackerte eine Kerze und half dem Nachmittagslicht, das spärlich durch die Fensterluke hereinfiel. Vor dem Leuchter lagen Messer und Schere, ein Vorhang versperrte die Sicht in das angrenzende Zimmer.
    Klopreis zog sie zum Tisch. »Setz dich, Wendel«, und nach einem leichten Seufzer: »Gut, dass du gekommen bist.«
    Als wäre ich ein Gast, als hätte er mich längst erwartet, staunte sie und wärmte sich an dem Gefühl, ließ zu, dass es den Grund ihres Besuches einfach zur Seite schob.
    Clarenbach trat aus dem Nebenraum ins Zimmer, erst jetzt ließ Johann ihre Hand los. Der Schulmeister richtete noch die weiten Wamsärmel, während er auf Wendel zuging.
    »Das, Adolph, mein Bruder, ist die Tochter des Wagners. Ich habe dir von ihr erzählt.«
    »Gott mit dir.« Ruhig blickten die schwarzen Augen, und Wendel erwiderte stumm diesen Gruß. Ihre Mundwinkel zuckten, sie schämte sich sofort, doch das Lächeln ließ sich nicht mehr unterdrücken.
    »Du kommst vom Jahrmarkt?«, fragte er verwundert.
    Der kleine Augenblick des Vergnügens verschwand, schuldbewusst senkte Wendel den Kopf. »Ich habe seit einer Ewigkeit nicht mehr gelacht, verzeiht. Es ist nur Euer Bart.«
    Der Lehrer betastete sein Kinn und lachte laut, lediglich zur Hälfte standen ihm noch die schwarzen Barthaare, die andere Seite war glatt, Kinn und Hals waren in hell und dunkel geteilt. Klopreis stimmte in sein Gelächter mit ein, und Wendel ließ sich anstecken, ihr Herz genoss es so sehr, sie fühlte sich aufgehoben, zum ersten Mal seit dem Tod des Vaters.
    »Ein Christenmensch darf lachen, sogar um einen Bart.« Clarenbach setzte sich mit

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