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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Genugtuung. »Der Friede in der Stadt soll nicht gebrochen werden. Meine Rente bleibt. Der gute Beust hat mich ermutigt, hier in der Wagnerei Bibelstunden und Gottesdienste abzuhalten.« Johann kratzte in dem verkrusteten Gesicht. »Wendel, du musst den alten Pfarrer verstehen. Er ist auf unserer Seite, aber er will keinen offenen Bruch mit seinen Oberen.«
    An der Stalltür lehnte Greet, sie hielt das Kind auf dem Arm und hatte still zugehört. Wendel winkte sie heran. »Sieh dir den Kerl an! Sieh ihn dir an! Von oben bis unten mit dem Kot der Christen besudelt und redet, als hätte er die Bergpredigt selbst gehalten!«
    Greet lachte aus vollem Hals, Wendel griff nach zwei Holzeimern, gemeinsam zerrten sie Johann hinter den Stall zum Brunnen. »Zieh dich aus!«, befahl Wendel, dann schütten sie ihm Wasser über den Kopf, bis der Gestank nachließ.
    *

N och schien die Sonne vergeblich, die letzten Januartage klirrten im Frost, in den Nächten unerbittlich, noch versteckte der Winter seine Faust unter dem Schnee und ließ das junge Jahr 1528 nicht los.
    Wendel schlug die Augen auf, sah nur die Dunkelheit der Schlafkammer, hörte neben sich das Atmen der Männer, behutsam tastete sie nach den tiefverborgenen Köpfen ihrer Mädchen. Alles war gut. Wendel wusste nicht, was sie aufgeweckt hatte. Dicht an ihre rechte Seite geschmiegt schlief Lisabeth, wie jede Nacht lag die kleine Magdalene halb auf der Mutter, einen Arm über dem hochgewölbten Bauch, das Gesicht, den Mund fest an ihrer Brust, Lenel hatte den weichen Stoff nass gesaugt. Du willst immer noch trinken, mein Herz. Aber ich habe nichts mehr. Warte, bis dein Bruder da ist, dann gebe ich euch beiden. Wendel hoffte, dieses Mal einen Jungen zu tragen. Mein Bauch ist so voll. Einen Sohn für den Frühling! Sie schloss die Lider. Mir seid ihr recht, den Sohn will ich für euren Vater.
    Wendel horchte auf das Atmen. Kein gleicher Takt, Johann ist eiliger. Drüben auf der anderen Seite der breiten Schlafstatt atmete Adolph tiefer und langsam. Ich liebe diese Winternächte, in denen wir dicht beieinanderliegen müssen und gemeinsam das große Bett wärmen.
    Seit dem Herbst lebte Adolph ganz in Büderich. Du bist nicht mehr heimatlos. Sie wusste, dass er dieses Wort nicht gelten ließ. Ich weiß es besser. Vielleicht gibt ihm sein fester Glaube eine Heimat für die Seele, doch auch das Herz muss irgendwo Ruhe finden. Hier bei mir ist Adolph zu Hause, nein, nicht allein bei mir, auch bei Johann und den Kindern, auch Greet gehört zu uns. Oft saß die Freundin mit Adolph zusammen und hörte aufmerksam die Texte, die er geschrieben hatte, selten verstand sie den Sinn sofort, fragte viel, geduldig erklärte der Schulmeister seine Thesen, bis sie nickte, so klar schrieb er sie dann neu.
    Durch die Mauern hindurch hörte Wendel das Wiehern, nur kurz wie ein Ruf, gefolgt von einem heftigen Schnauben. Also, du hast mich geweckt, Aga. Schon seit Tagen ahnte Wendel, dass die Stute müde war, nur müde nach dem langen Weg.
    »Ich komme.« Sanft löste sich Wendel aus der Umarmung ihrer Töchter, zog Magdalene über ihren Bauch, legte sie der Schwester in den Arm, ohne die schwere Federdecke anzuheben, schlüpfte sie rasch aus dem Bett, um die Wärme nicht zu vergeuden. Wendel tastete sich durch die Kammer, den geöffneten Vorhang, in die Stube, streifte den wollenen Umhang über, an der Herdglut entzündete sie die Kerze und verließ das Haus.
    Das Mondlicht schimmerte auf dem Schnee. Rasch überquerte Wendel den eisigen Hof und huschte in den Stall. Wiehern empfing sie, leise, gefolgt von Seufzen wie eine Klage. »Jetzt bin ich bei dir, Aga.«
    Ermattet lag die Stute im Stroh auf der Seite, das geweitete Auge blickte Wendel entgegen. Sie stellte die Leuchte ab, nahm zwei Decken, legte die eine über den zitternden Pferdeleib, in die andere hüllte sie sich selbst und setzte sich neben Aga, den schweren Kopf bettete sie auf ihren Schoß.
    Die Stute schnaubte kaum vernehmbar. Sie seufzt, Aga seufzt ihr langes Leben aus, dachte Wendel. Ich weiß nicht einmal, wie alt du wirklich bist. Als du zu uns kamst, warst du schon erwachsen. Erst musste mich der Vater auf deinen Rücken heben, später stellte ich mich auf den Eimer und kletterte selbst hoch. Oft sind wir weit geritten, oder ich saß auf dem Bock, und du zogst den Karren. Nie schnell, stürmisch warst du nie. Doch einmal, weißt du noch? Die Fähre? Ich hätte dich niemals ins Wasser getrieben, das wusste der mürrische

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