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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Reinhold. »Sei ruhig, Aga. Heute Nacht bin ich dein Fährmann, ich besorg das Hol-über.« Die Stute atmete still. Wendels Bauch berührte den warmen Nasenrücken. »Lass dir Zeit. Ich bleib bei dir, gleich wie lange es dauert.«
    Als Adolph im März aus Osnabrück zurückgekehrt war, hatten sie ihn mit dem Karren vom Rhein abgeholt. Er war zu Greet und Lisabeth auf die Ladefläche gestiegen. Johann und ich saßen vorn auf dem Kutschbock. Wie bei der Pfingstprozession, so feierlich haben wir Adolph nach Büderich gebracht. Er wollte nur zwei Tage bleiben. »Aus Osnabrück bin ich nicht geflohen, auch von dort mussten sie mich erst verjagen.« Adolph hatte so müde Augen gehabt. Er war nur hergekommen, um seine Schüler den Eltern zurückzugeben, um kurz die Freunde zu begrüßen. »Ich werde ins Bergische Land gehen, zum Buscherhof, der Mutter, den Geschwistern und Nachbarn Lebewohl sagen, dann folge ich einem Ruf nach Holstein. In Meldorf wurde der Prediger von Mönchen und dem verhetzten Volk erschlagen. Freunde haben mir die Stelle des Diakons angeboten.«
    »Freunde?« Wendel hatte ihn fassungslos angestarrt.
    »Diese Meute wird dich genauso abschlachten.«
    »Jesus geht voran, warum soll ich mich fürchten?«
    Adolph war gegangen.
    Im Herbst stand er plötzlich in der Wagnerei. Wendel schüttelte den Kopf und streichelte zart über die Nüstern der Stute. Ich hab so geschrien, dass ich mir die Ohren zuhalten musste. Alle kamen gerannt, Lisabeth zuerst, Greet mit Lenel vom Brunnen und Johann aus der Werkstatt, alle haben wir ihn gleichzeitig umarmen wollen. Adolph hatte auf dem Buscherhof und im Kirchspiel Lüttringhausen gepredigt, »es gab so viel zu erklären«, darüber war der Sommer vergangen. »Für Meldorf war es längst zu spät«, im bergischen Elberfeld hatte er zuletzt auf Plätzen und in Bierhäusern über das reine Wort gesprochen und die alte Kirche angeklagt, bis sie ihn verjagten.
    Adolph war nach Büderich zurückgekehrt. »Wo kann ich sonst hin, jetzt vor der kalten Zeit?«
    Ja, der Winter ist meine Zeit, dachte Wendel. Tage hindurch diskutierte Johann mit Adolph, legte ihm dar, was er gelesen hatte, schwärmte von den neuen Ideen. Oft hatte der Freund den Kopf gewiegt. »Lauf nicht zu schnell, Johannes, der Weg ist steinig.« Am Abend hielten sie in der Wagnerei Bibelstunden ab, sogar Doktoren aus Köln, ihre alten und neugewonnenen Freunde, kamen, hörten und disputierten. Adolph schrieb unermüdlich, verbesserte wieder, er wollte den Brüdern aufschreiben, welche Wahrheit er im Wort des Evangeliums gefunden hatte. Das gemeinsame Leben in der Hofstätte war zum Glück geworden. Manchmal schien es Wendel, wenn sie das Tor verließ, dass schon der Marktplatz von Büderich in einer anderen Welt lag.
    Die Stute versuchte den Kopf zu heben, Wendel half ihr. »Hörst du genug?«, und lauschte mit ihr in die Stille. Aga atmete aus.
    Ruhig deckte Wendel die starren Augen zu und wiegte den Kopf. »Ganz leichte Karren mit hohen Rädern gibt es da. Und wenn nicht, der Vater wird dir einen bauen, das weiß ich bestimmt.« Wendel raffte Streu zusammen und bettete den Kopf.
    In der Kammer schlüpfte Wendel unter die schwere Federdecke, wärmte sich an ihren Kindern.
    Die Sonne stach den Schatten des Wohnhauses auf den Schnee. Lisabeth und Magdalene durften nicht in den Hof, ihre Mutter wärmte ihnen Milch, versüßt mit Honig, es war leicht, die Mädchen zu überreden. Solange Vater und Adolph noch draußen arbeiteten, solange sollten die Kinder in der Stube bleiben.
    Immer wieder trieb es Wendel zum Fenster. Die Männer hatten den Karren aus der Scheune gerollt. Nicht im gleißenden Schnee, er stand dort, wo das Sonnenlicht nicht hintraf. Auf einer Decke zogen sie Aga aus dem Stall, zerrten sie bis zu den schräg angestellten Brettern, hievten und stemmten den Leichnam auf die Ladefläche.
    Wendel wischte über die Augen. »Fehlen wirst du mir.« In ihren Kummer stahl sich ein Lächeln. »Das Leben dreht sich um.«
    Die Lederriemen hatten Adolph und Johann fest an den Kutschbock gebunden, jeder legte eine Schlaufe um Schulter und Brust, beide fassten sie einen Holm der Deichsel, so im Geschirr schleppten sie den Karren zum Tor hinaus. »Wie oft hast du uns gezogen, Aga? Auf deinem letzten Weg fahren wir dich.« An den Abdecker wollte sie jetzt nicht denken.
    Gegen Mittag gellte Greets Stimme durch den Hof. Wendel stürzte hinaus.
    »Ich hab ihn gesehen!«
    Wendel begriff nicht, konnte nichts fragen, die

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