Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
sie. Da hin.« Wendel rang nach Luft, zeigte den Menschen nach.
    »Du stirbst mir noch.« Besorgt führte Greet die Freundin über den glitschigen Modder und lehnte sie an eine Hauswand. »Ruh dich erst, Kindchen.«
    Ich darf nicht, ich muss weiter, ich will zu ihm, die Augen stürmten bis zur düsteren Einmündung, folgten den Leuten in die Gasse. Beide Hände presste Wendel an ihren Leib, dieses Seitenstechen, wenn sie doch freier atmen könnte.
    Sechs lange Tage hatte sie neben Greet auf der Kutschbank gesessen, und ewiger, nieselnder Regen, die Nächte hatten die beiden Frauen, im Schutz der Ortschaften, unter der Plane ihres Karrens verbracht.
    Erst spät waren sie gestern vor Worringen angelangt und mussten bis in die Nacht herumfahren, bis sie endlich ein Gehöft gefunden hatten, auf dem sie den Wagen unterstellen und den Ochsen in den Stall bringen durften. Nicht aus Nächstenliebe half der Bauer, die Ernte war so schlecht, er ließ sich die Hilfe gut bezahlen. Heute, in aller Frühe waren sie losgegangen, ein Fuhrmann zeigte Erbarmen mit der Schwangeren, erlaubte beiden Frauen aufzusitzen, und so hatten sie Köln kurz nach dem Öffnen der Tore erreicht.
    Sie mussten nicht fragen. Stimmen, Geschwätz und Rufe erfüllten die Straßen, »Heute geht es ihnen ans Leben«, »Wirklich?«, »Ich hab’s gehört«, »Vielleicht sogar ein Feuer für beide!«, die Leute waren unterwegs.
    Stumm hatte Wendel nach Greets Hand gesucht, gemeinsam hetzten sie durch die Stadt bis zum Dom, mehr und mehr Menschen, von allen Seiten her zog es sie an den Druckhäusern vorbei und weiter auf der langen Straße in Richtung Süden. Drei Frauen unterhielten sich vergnügt über das große Ereignis, beratschlagten, ob sie am Domhof warten oder wie die anderen zum Grevenkeller laufen sollten, um das Schauspiel von Beginn an zu genießen. »Der eine muss ja ganz wild sein!«, »Und dieser junge Kerl hat sogar vor dem Sakrament ausgespuckt!«, »Im Dom, während der Messe, na, der hat’s verdient.«
    Greet hielt es nicht länger, sie ließ Wendel los, versperrte den Bürgerinnen den Weg. »Wen meint ihr?«
    Spöttisch maßen die Weiber das Aussehen der großen Frau. »So was erlebst du nicht bei dir auf dem Acker. Den Ketzern geht es an den Hals.«
    »Ich …» Greet bezwang den Zorn, »wo ist das Gefängnis?«
    »Geh doch den Leuten nach!«
    Wendel hatte mehr wissen wollen und versuchte, die feinen Damen aufzuhalten, war im Dreck ausgerutscht und gefallen. Seitdem ließ Greet sie nicht mehr los.
    Das schmerzhafte Stechen in den Seiten hatte nachgelassen, Wendel atmete tief, sah die eiligen Menschen, mit dem Blick flehte sie ihre Freundin an.
    »Die Leute reden nur, Kleines. Jemand hat was erzählt, und schon rennen sie.« Nur mühsame Worte, in Greets Stimme war kein Trost, sie fasste Wendel um die Schulter. »Gebetet hab ich, jede Nacht. Ich kann es nicht verstehen.«
    Die Menge umlagerte das Haus des Greven, vor dem vergitterten Fenster schoben und stießen sich die Leute. Nur die beiden Nachtwächter im glänzenden Harnisch, rechts und links der Haustür, mit Spießen bewaffnet, dämpften die Lust der Neugierigen, bis an das Gitter vorzuspringen. Gierig warten sie auf eine Überraschung, auf ein schönes Geschenk. Voll Ekel sah Wendel die hin- und herzuckenden Rücken der Meute. Dort in dem Haus ist Adolph, nur dieses Pack und die Mauer sind noch zwischen uns. Wäre ich doch ein Riese!
    Immer wieder schoben sich Neuankommende zwischen ihnen her, drängten sie ab, Greet sorgte, dass niemand zu heftig stieß, doch schließlich wurde die Enge für Wendel unerträglich. Hinter dem Volk am Zaun eines Gartens entdeckten sie einen Klotz. »Setz dich, Kleines. Ich sag dir, was geschieht.« Müde wollte Wendel gehorchen.
    »Ketzerpack!«
    Der Fluch riss ihre Köpfe herum. Ein Pfaffe hatte sich bis zum Gitter vorgewagt, schlug mit den Fäusten gegen die Hauswand. »Lutherteufel! Sie wollen nicht ablassen von der Sünde. Verfluchtes Ketzerpack!«
    Seine Worte sprangen in die Menge. »An den Galgen!« – »Ehe Gott uns wieder mit der Pest straft!« Wie ein wabernder Brei schob sich die Masse näher. Noch einmal drohte der Priester mit der Faust in das Kerkerfenster, zeigte sie als Kampfzeichen den Leuten, huschte zurück und mischte sich in den angeheizten Aufruhr.
    »Sie wollen sie gleich hier totschlagen«, murmelte Greet und tastete nach dem Messer unter ihrem Mantel, »einmal werd ich noch mit ihm sprechen.«
    Die Tür wurde aufgerissen.

Weitere Kostenlose Bücher