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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Glauben. Er hat damit nicht das Leben gemeint.«
    Verzweifelt zeigte Wendel auf den Trubel, das Gewühl ordnete sich in eine Richtung, bewegte sich von der Hachtpforte weg nach Norden, nur der Greve, hoch auf seinem Pferd, zeigte wie eine Fahne an, wo sich die Ketzer gerade befanden, in freudiger Erwartung schob der Zug seine Ehrengäste durch die Stadt, begleitet vom Lauffeuer: »Kein Urteil, und doch verurteilt. Der Greve hat den Stab nicht gebrochen.« – »Die Schöffen waren sich nicht einig.« – »Der Henker durfte die Kerle nicht mit dem Rücken an den blauen Stein stoßen und seinen Todesspruch aufsagen.« – »Etwas stimmt nicht! Und doch werden sie hingerichtet!«
    Wendel hielt sich die Ohren zu. »Das da, Greet, diesen fröhlichen Weg, hat er die ganzen Jahre gemeint.«
    So schnell es Wendel möglich war, folgten sie der Menge, mussten stehen bleiben, bis die Schwangere wieder zu Atem kam, weiter, sie wollten in der Nähe sein.
    Der Lärm war verebbt, »Vater unser, der Du bist im Himmel!«, klar und deutlich schwang das Gebet der Gefangenen herüber.
    In der Breiten Straße, die gerade aus der Stadt und weiter zur Richtstätte führte, sprachen Adolph und Peter gemeinsam das Ave Maria. Verwundert reckten sich die Köpfe, ungläubiges Staunen, die Pfaffen haben uns doch eingeredet, dass sie Gott und die Heiligen verachten? «… die du gebenedeit bist unter den Weibern, gebenedeit die Frucht deines Leibes …» Sie beten wie wir! Mönche und Priester haben uns belogen! Erste Verwirrung wühlte in den Gaffern, die Mienen veränderten sich, da und dort lebte Mitgefühl. Adolphs Stimme wurde schwächer. Gleich löste der junge Student ihn ab, fuhr fort, den reinen Glauben zu verkünden, heftig klagte er gegen die verrottete römische Kirche, verdammte all ihre gekrönten Häupter.
    »Es sind Lästerer, Ketzer!«, eiferten Pfaffen zwischen dem Volk, vergeblich, die Stimmung drohte umzuschlagen.
    Am Hohen Kreuz vor dem Hospital stockte der Zug. Greet und Wendel holten auf. Um den Bierstand drängten sich die Bürger, das Geschäft blühte an solch einem Tag.
    Weiter vorn ritt der Greve gegen die Menge, schaffte den gebührenden Abstand. »Gebt mir zu trinken!«, bat Adolph inständig, und kräftiger: »Mich dürstet!«
    In der Nähe rief ein feingekleideter Herr: »Ich bezahle denen Wein oder Bier, wenn es jemand hinbringt.«
    »Ich!« Gleichzeitig hatten sie aufgeschrien. Adolph sehen, nur einmal dicht bei ihm sein, vielleicht ein einziges Wort für ihn. Mit dem linken Arm schob Greet die Freundin, der andere stieß den Weg frei. »Ich! Wir bringen es zu ihm!«
    Längst hatte sich ein Handwerksbursche angeboten, Greet wischte ihn zur Seite, ernst schüttelte der große Mann den Kopf, »Das ist nichts für Weiber«, und gab die Münze dem Burschen, der rannte zum Stand, bezahlte eine Kanne und brachte das Bier nach vorn.
    Greet ließ die Faust sinken. »Komm, Kleines«, presste sie heraus, »jetzt ist das Gedränge nicht so schlimm.«
    Nur unwillig machten ihnen die Gaffer Platz, endlich, zwischen Hüten und Kopftüchern fanden ihre Augen einen freien Spalt. Adolph hielt den Kopf zurückgebogen, der Scharfrichter setzte ihm die Kanne an die Lippen, kippte, gierig schluckte Adolph, sein Mund lief über, und Bier rann ihm das Kinn hinunter. Wohlwollend grinste der Henker, setzte ab und gab Peter zu trinken.
    Dankbar blickte Adolph zum Himmel. »O Herr, ich bitte dich, sieh gnädig auf Köln herab und verschone diese Stadt vor Strafe! Erleuchte den Bischof, die Pfaffen und Mönche, nimm ihnen die Blindheit!« Den Bürgern rief er zu: »Betet mit mir!« Dann sprach er das Vaterunser, viele in der Menge stimmten mit ein.
    »Ich kann so nicht beten.« Greet ließ die Hände sinken. Auch Wendel starrte den geliebten Freund nur an. »Lass uns weg von hier«, flüsterte sie, »in der letzten Minute will ich dicht bei ihm sein. Gehen wir vor, am Feuer braucht er unser Gebet.«
    Nach dem Stadttor wurde der Weg noch beschwerlicher, immer wieder rutschte Wendel im Schlamm und Abfall. »Mein Knie«, klagte sie, und Greet fing sie auf. »Warte, Kindchen.« Entschlossen brach sie einen Ast aus dem Weggehölz, stutzte ihn mit dem Messer und gab ihn Wendel. »Halt dich an dem Knüppel und an mir fest.«
    Hinter ihnen wälzte sich der Zug durch das Ehrentor. Sie hasteten weiter, erreichten das freie Feld, vorbei an Melaten, dem Armenhof der Aussätzigen. Die Siechen säumten die Straße, die lebenden Toten warteten voll

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