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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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hatte sie ihn nur nach innen gerufen, er trieb die Angst, ihre Sehnsucht, zu lange hatte sie ihm den Namen nicht mehr geben dürfen. Gebückt ging sie näher, schob sich unter das Dach der Kapuze und hob die Augen, fand seinen Blick in dem Dunkel und wusste es.
    »Mein Johann.« Ärgerlich versuchte sie die Tränen zu unterdrücken. »Du hast mich erschreckt, du verrückter Apostel.« Sie berührte das bärtige Kinn, schob behutsam sein Gesicht nach oben, ihre andere Hand streifte die Kutte zurück. Mit dem Licht schloss er die Lider. »Sieh mich an, Wendel.«
    »Ich sehe nichts, solange du die Augen zumachst.«
    »Sag es mir!«, forderte er.
    Und Wendel fand die Narben, berührte die schorfen Wundränder an seinem Mund. »Das wird heilen, mein Johann, so etwas heilt.« Aufschluchzend drückte sie ihn an sich.
    Er ließ es geschehen. »Bin ich so sehr entstellt?«
    »Ach, Johann!« Wild zerrte sie an der Kutte. »Das Fleisch heilt bald. Wie tief müssen deine Wunden sein, da tief drinnen? Darum weine ich.« Noch heftiger umschlang sie ihn. »Und ich weine, ich will weinen, endlich, weil es mir endlich gut ist!«
    Johann presste den Mund in ihr Haar, verbarg sich an Wendels Schulter.
    Die langen Monate waren zu Ende. Nicht nachholen will ich sie, dachte Wendel, beginnen, so bleiben und anfangen.
    »Mutter?«
    Die zaghafte Frage rief Wendel zurück, wie ertappt löste sie sich rasch. In der Nähe standen die beiden Mädchen und staunten. »Deine Töchter«, seufzte sie lächelnd, fasste die Zöpfe mit einer Hand und drückte die Gesichter an ihren Schoß, mit der anderen schob sie Johann zum Haus. »Erst musst du den falschen Pelz ausziehen, sonst glauben sie mir nicht, dass du ihr Vater bist!«
    Er hatte fast die Tür erreicht, als Wendel auflachte, ihm nachrief. »Dass du dich nicht erschreckst. In der Stube siehst du, was aus deinem Sohn geworden ist!«
    Kinder haben bessere Augen. Vor zwei Stunden hatte Wendel die Mädchen zu ihrem Vater unter die Federdecke gesteckt. »Er friert, ihr müsst ihn wärmen.« Sie hatten sein Lächeln gesehen, das Glück gespürt, und keins war vor dem wilden Gesicht zurückgeschreckt. Den Bart hatten sie befühlt, bewundert, Lisabeth hatte ihre Narbe am Knie mit seinen Narben verglichen. Jetzt lagen sie eng an ihrem Vater.
    Wendel versuchte. Adolphs Brief weiterzulesen, ließ die Blätter gleich wieder sinken. Nichts habe ich gewusst, in keinem Traum dachte ich daran, dass der Prozess nicht Johann galt.
    Noch vor dem Essen, beseelt vom ersten Glück, hatte sie gefragt, wann Adolph nach Büderich käme, ob er das Predigen nicht lassen könnte, ob ihm etwa die Wagnerei zu klein geworden wäre?
    Was hattet ihr für Pläne, bevor ihr so mutig in die Löwengrube gestiegen seid? Kein Gericht ist gut. Dem Fährmann wollte ich es nicht glauben, und es war richtig, nie hätte ich sonst warten, trotz der Ungewissheit still in Büderich sitzen können. Jetzt weiß ich mehr. Für Menschen, die nach der Wahrheit suchen, ohne sich an die Regeln der Mächtigen zu halten, die aus tiefstem Herzen die Gnade von Gott erhoffen, ohne durch Ablass, mit abgezählten guten Werken sich von der Sünde loskaufen zu wollen, für solche Menschen gibt es keinen gerechten Richter. Johann ist auf der Flucht, wird gejagt, und Adolph? »Er wird siegen!« Ja, Fabritius ist überzeugt, mein Johann glaubt es. Wendel strich die Briefseiten glatt. Niederlage oder Sieg? Ihr tapferen dummen Männer. Schlagt die Kerkertüren auf, stoßt die Mauern ein und rettet ihn! Adolph sitzt in der Grube der tauben Pfaffen, diese Löwen sind Menschen, sie können und wollen ihn nicht verstehen. Wer die Macht im Land besitzt, muss nicht demütig sein. Auch wenn ihr dem Wort unseres Herrn näher seid, sie werden das Schwert nicht sinken lassen. Ich weiß, für euch ist meine Angst kleinmütig, ihr würdet disputieren, bis keine Furcht euren Kampf beschwert.
    In der Werkstatt lesen Greet und ich den Frauen vor, nicht so gewaltig und schön, wie ihr es könnt. Über Kindertaufe oder das Abendmahl, so oder so, reden wir wenig. Wir haben in den vergangenen Monaten begriffen, dass die Beladenen und Mühseligen Ihm alles bringen dürfen und nicht erst einen Heiligen anrufen müssen, sondern direkt zu Ihm frei und offen beten dürfen, wenn es nötig ist, sogar auf dem Feld, im Bett oder im Stall. Manchmal lachen wir auch.
    Wendel beugte sich über den Brief, las lange, stockte und wischte die Augen. »Emmanuel, Adolph«, flüsterte sie. Verwirrt

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