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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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gestürmt, sie jubelte und schwenkte das gefaltete Stück Papier, gab es nicht her, ließ sich kichernd von Wendel durch die Stube jagen.
    Ein durchreisender Schmied hatte Johanns Nachricht dem Schuster am Rheintor übergeben und war gleich weitergezogen. Für einen Besuch in der Wagnerei hatte er keine Zeit gefunden. Dieser Jakob war auf dem Botengang von Münster nach Wassenberg, verteilte Ort für Ort glühende Sendschreiben der Prädikanten, beschwor alle wahren Gläubigen, in die Gemeinde der Auserwählten zu kommen, ehe der Tag des Zorns über die Welt hereinbrach.
    »Mein Apostel ist ein guter Vater«, hatte Wendel gedacht. Johann wusste, dass seine älteste Tochter im Kloster zur Schule ging, mit wildem Eifer lernte, so hatte er in sorgfältiger Schrift ihren Namen auf den Brief gemalt. »Lisabeth Heix«. wie stolz war Lisel, als sie ihn buchstabiert hatte.
    Wendel wischte die Finger an ihrem Kittel ab. »Wir packen nur das Nötigste auf den Handwagen und ziehen los. Die Straße ist gut, meine Kinder sind gut zu Fuß.« Nebeneinander lagen die Brotkerle auf dem Tisch, die Münder grinsten sie an.
    »Ach, Kindchen. Und wenn Münster am Ende der Welt wäre, du willst zu ihm, deshalb wird der Weg immer kürzer.«
    »Gleich schießen wir die Brote ein!«, verkündete die Bäuerin und schaufelte Glut in den Bauch des Ofens. »Habt ihr’s gehört?«
    »Wir sind nicht taub, Mutter!«
    Als Antwort warf die Alte ihre Feuerschippe hart auf den Boden. Verstohlen sah Wendel zum Backofen, die Bäuerin hatte ihnen den Rücken zugekehrt. »Geh doch mit.«
    »Ins Neue Jerusalem?« Greet schüttelte den Kopf. »Münster ist eine Stadt wie jede andere. Da galoppieren keine weißen Pferde durch die Wolken, Kindchen. Da erscheint auch kein Mann mit einer goldenen Krone am Himmel. Blau und schwarzes Feuer, so dunkel, dass die Sonne noch heller scheint und die Leute goldene Gesichter kriegen!« Greet winkte ab. »Entweder saufen die Kerle in Münster zu viel, oder dein Johann ist verrückt geworden.« Mit Mandelkernen spickte sie die Brust der Teigmänner. »Und wenn die Welt wirklich untergeht, will ich lieber hier auf meinem Hof sein.«
    »Du kennst ihn doch, Greet. Sobald er begeistert ist, findet er große Worte, und die Leute hören ihm gerne zu.«
    »Du auch?«
    Behutsam legte Wendel die Köstlichkeiten auf den breiten Spachtel. »Für die Mädchen, er schwärmt von dem Neuen Jerusalem, nur für seine Töchter. In Wahrheit meint er …« Der Satz brach ab, geschlagen gab sie auf. Greet hatte recht. Jede neue großartige Idee, mit der Johann sie überraschte, steigerte ihre Angst. Damals in Wassenberg hatte es begonnen, Johann suchte nicht mehr in der Schrift nach der Wahrheit, er hatte sie im Gespräch mit den neuen Freunden gefunden. Streng und ohne Rücksicht wollten sie Gottes Reich aufrichten.
    »Münster ist die auserwählte Stadt!« Wieder ein Paradies, das deinen Kopf blendet? Mein Johann, du rennst und stürmst nach vorn, lässt dich von ihnen mitreißen. Wenn Adolph doch bei dir wäre.
    Auf den Straßen flüsterten die Leute über das Wunder in Münster. Einigen glänzten die Augen, andere winkten furchtsam ab. »Die Wiedertäufer sind Teufel.«
    Und Johann schreibt, dass im Januar zwei Abgesandte aus Holland eingetroffen sind, um die Ankunft des neuen Propheten vorzubereiten! »Tut Buße! Bekehrt Euch!«, sie hatten mehr als tausend Männer und Frauen getauft, nicht vor dem Altar, in Wohnhäusern und auf den Höfen. »Durch die zweite Taufe gehöre ich jetzt zu der Gemeinde der Auserwählten. Arm und Reich gibt es nicht mehr. Wir teilen jeden Besitz mit den Brüdern und Schwestern und haben doch alle genug! Bald wird sich der Himmel auftun, und alle Heiden werden ausgerottet.« Was brennt nur in deinem Herzen? Wendel wagte nicht, sich diese Wunderwelt vorzustellen, die er so glühend versprach.
    »Er braucht mich. Greet«. sie lächelte bekümmert, »sonst reitet er auf dem weißen Pferd noch in den Himmel.«
    Ein Satz des Briefes war gültig für sie, er bestimmte ihren Entschluss. »Kommt zu mir, kommt, kommt nach Münster, ehe es zu spät ist.« Noch nie hatte Johann so sehnsüchtig nach ihr verlangt. Über die anderen Sätze würde sie dann mit ihm reden.
    »Diese Kerle!« Grimmig drohte Greet den blassen Ungebackenen auf dem Spachtel. »Wenn du nicht zurückkommst, Kleines, dann hol ich dich!«
    Die Bäuerin stieß ihre Tochter und Wendel zur Seite. »Schluss mit dem Geschnatter!« Sie hatte die verglühte
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