Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
Asche aus dem Backofen herausgekehrt und das Innere des heißen Bauches sorgfältig gefegt. Mit Bedacht und großer Ruhe deckte sie das Tuch ab, schloss die Augen und drückte die Fingerspitzen ihrer linken Hand in den ersten der sechs runden Laibe. »Ich pip dich, keine Hex stiehlt unser Brot.« Ohne Worte murmelte ihre Stimme weiter, bis sie ganz verebbte. Jetzt furchte sie tief in den Rücken der nächsten beiden Laibe das Kreuz. »Eins für dich auf der Reise und eins für uns.« Das Kreuzbrot durfte erst als letztes angeschnitten werden. «… damit der Segen bleibt.«
    Wendel überreichte ihr den Backschießer, an der Ofentür wartete Greet. Auch heute sahen sie bewundernd zu, wie die Alte plötzlich auflebte, die Laibe nacheinander von der Tischplatte schippte, schon vor dem Ofen stand und sie mit einem harten Schlenker in den heißen Bauch schoss, den gepipten zuerst, die bekreuzten Laibe Zum Schluss. Hinter ihr stand Wendel bereit. »Schlaf nicht ein, dumme Gans!«, fauchte die Alte sie an. Sofort verschwanden die bleichen Kerle in der Öffnung, und Greet schlug die Eisentür zu. Die Mutter stieß ihre Tochter weg und versiegelte den Backofen mit dem großen Kreuzzeichen.
    Zufrieden klatschte sie in die Hände. »Jetzt holt die Mädchen wieder rein!«, und setzte sich auf den Hocker. »Macht den Tisch sauber für das Brot«, schloss die Augen, nur stumm bewegte sie ihre Lippen. Die Backzeit hatte begonnen.
    *

W eiter. Nur weiter. Nach vorn gebeugt zerrte Wendel den Handwagen hinter sich her, stieß den Atem, und schneller hetzte die Angst das Herz. Hilf mir! Ich darf die Kinder nicht umsonst in Gefahr bringen. Dieser Pfad muss uns bis an den äußeren Graben von Münster führen!
    Wenn Zweige sich in die Speichen der Räder drehten, schoben die Mädchen, so gut sie konnten, wenn die Mutter zu schnell lief, achtete Lisabeth darauf, dass sich die Schwestern am Holm der niedrigen Rückwand festhielten. Vielleicht hat es doch einer der Söldner bemerkt? Wir dürfen nicht stehen bleiben. Lass das Dickicht unser Schutz sein! Nicht stecken bleiben. Die Zelte und Kanonen der Belagerer liegen jetzt hinter uns. Es gibt kein Zurück mehr. Öffne deine Hand!
    Und wenn ich mich geirrt habe, der Pfad nicht so direkt wie der Fahrweg auf die Stadt zuläuft? Heftig zog sie den Stiefel aus dem braunfeuchten Schlinggewirr des Bodens, weiter, nur weiter. Du führst uns! Wir schaffen es bis zur Zugbrücke. Im Unterholz am Rand der Straße können wir ausruhen.
    Struppige Äste fuhren Wendel durch das Gesicht, schlugen den Mädchen gegen Mund und Wangen, schmerzhaft schluchzte Irmel auf.
    »Sei still«, flehte Magdalene, für Trost war jetzt keine Zeit. Zwei Tage waren sie verzweifelt durch den Tross der Belagerer geirrt, hatten sich bis zu den Straßensperren vorgewagt, die mächtigen Geschützrohre zielten auf die eingeschlossene Stadt. In der Ebene, weit vor den Toren Münsters, ließ der Bischof sieben Hauptstützpunkte einrichten, immer wieder trafen Wagentrecks mit Pulver, Steinkugeln, Waffen, Leitern und Werkzeugen ein.
    Drüben, hinter den Mauern, war Johann, wartete der Vater. Wendel musste zu ihm, wollte nicht aufgeben. »Kommt, kommt zu mir!«, die Sehnsucht überzählte alle Warnungen. Greet hatte Recht, die hohen Herren rüsteten sich zum Kampf gegen das Neue Jerusalem. In dem Getümmel der Vorbereitungen suchte Wendel nach einer Möglichkeit, unbeobachtet durch den Gürtel der Belagerer zu schlüpfen.
    Noch war es nicht zu spät, noch wurden Befehle und Signale vom breiten Gelächter der Landsknechte übertönt. Sie würfelten, tranken ausgiebig, während ihre Frauen die Unterkünfte herrichteten und die verwahrlosten Kinder davon abhielten, sich mit den Waffen der Väter gegenseitig aufzuspießen. Manchen Söldnern putzten eigene Diener den Harnisch, ärmere Landsknechte führten den Kumpanen kleine Kunststücke ihrer Hunde vor, ließen sich die Stiefel blank lecken. Dirnen schlenderten durch die Zeltreihen, den Hauptleuten zeigten sie Brüste und hoben die Röcke, fragten die Einfachen nach dem Sold und planten ihre Beutenächte. Auf hochbeladenen Karren schafften die Bauern aus den umliegenden Orten die Versorgung heran. Im Aufmarsch der Truppen schnellten die Preise für Lust und Getreide, es wurde gefeilscht, geprügelt und gelacht. Der Krieg hatte noch kein blutiges Gesicht. Auch wenn kleine Trupps der Eingeschlossenen hin und wieder aus der Stadt stürmten, im Handstreich Brände legten, töteten und sich

Weitere Kostenlose Bücher