Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
Vom Netzwerk:
Asche abgedeckt und Feuer entfacht. Sie züchtete die Glut. Bis sie genügend hochgeschichtet war, sollten die Flammen den gemauerten Boden der Backhöhle anheizen.
    Vor zwei Stunden mussten Lisabeth und ihre Schwestern die Stube verlassen. Nacheinander waren sie von der Bäuerin hinter den schützenden Deckenvorhang und durch den Türspalt nach draußen geschoben worden, kein kalter Luftzug durfte das Gehen des Teigs erschrecken. Die Mädchen drückten Nasen und Münder an die Fensterscheibe, klopften, wollten endlich wieder hinein. »Erst muss das Brot im Ofen sein.« Heute hatte die Alte zu bestimmen.
    Für Wendel und Greet war das Leben in Büderich härter geworden. Nach dem Erlass der strengen Kirchenordnung, seit überall die Spürhunde nach Ketzern suchten, blieben die Schwestern der Werkstatt fern. Angst und Verzagen lahmte das Wachsen der kleinen Gemeinde. Laut spotteten die feinen Bürgerinnen über die Bibelweiber und sahen es nicht mehr gern, wenn sie ihr Brot zum gemeinsamen Backhaus brachten. Nur Greets Mutter genoss die Veränderung, endlich wurde wieder im Haus gebacken, gutes Brot, so wie es sich gehörte.
    Auf dem Tisch formten die beiden Frauen den Teigrest zu einer Wurst, strichen sie mit den Händen glatt, schmunzelten und rollten weiter. Zufrieden mit Länge und Dicke nahm Greet Maß und zerteilte sie in drei gleiche Stücke. »Daraus machen wir für jedes deiner Mädchen einen kräftigen Kerl.«
    »Gott sei’s gedankt, dass sie ihn aufessen können.« Wendel zeigte zum Fenster. Drei Augenpaare verfolgten gierig, was am Tisch entstand. Die immer hungrige Irmel wurde im nächsten Monat schon sechs, Lenel im Mai sieben, ihr fiel es so schwer, sich gegen die Schwestern durchzusetzen. »Weißt du noch, wie du mir Lisabeth geholt hast? Acht Jahre sind es im Juni her.«
    Greet stippte aus Haselnusskernen braune Augen, Nase und Mund. »Oft denke ich, dass du deine Kinder auch für mich gekriegt hast.« Sie sah nicht auf. »Einmal hatte ich auch einen Mann. Der war stärker als ich. Was der für Kräfte hatte! Beim Schmied war er Geselle, wenn der den Hammer schlug, spritzten die Funken. Eines Tages war er verschwunden. ›Auf Wanderschaft‹, sagte mir sein Meister. Nie ist dieser verdammte Kerl zurückgekommen.« Greet riss dem Teigmännchen die Beine ab und formte sie neu. »Wichtig bist du für mich, Kleines, du und deine Kinder.« Mit gepressten Lippen arbeitete sie weiter.
    »Ich komm schon wieder«, flüsterte Wendel.
    »Und wenn sie dich nicht mehr rauslassen? Verdammt, Kindchen, ich hab so ein Gefühl. An jeder Ecke trommeln die Werber. Unsere hohen Herren fürchten sich vor dem, was da in Münster gebraut wird.«
    »Ich komm wieder.«
    Die große Frau nickte still.
    Vor allem den Winkelpredigern, Täufern und Schwärmern galt die Strenge des Herzogs, unerbittlich wurde das Netz enger gezogen. Längst war das behütete Eiland im Amt Wassenberg zerstört, unter dem Schutz des Pfandherren waren dort wilde, bunt schillernde Blumen aus der neuen Lehre emporgewuchert, »der Geist weht, wo er will«, Erleuchtete hatten sich zu den Predigern gesellt, »die Welt stürzt in den Abgrund, nur die Auserwählten werden gerettet.« Bevor diese Blüten zu Menschenfressern wurden, sollten ihnen die Köpfe abgeschlagen werden.
    Rechtzeitig waren die Wassenberger Prädikanten im vorletzten Herbst aus der Burg geflohen. Johann hatte sich über Weihnachten bei Wendel und den Kindern versteckt, reich beschenkt vom Drosten Palant und mit Empfehlungsschreiben versehen, plante er, ins Hessische zu gehen. »Beim Landgrafen wird evangelisch gepredigt.«
    »So weit?« Wendel hatte nicht widersprochen.
    Kurz nach seiner Abreise war sie von einem Weseler Bruder benachrichtigt worden, dass Johann den anderen Wassenbergern nach Münster gefolgt war.
    Nur zweimal war er im vergangenen Jahr heimlich in Büderich erschienen, mutig und so sicher, wie ihn Wendel nie vorher erlebt hatte. »Bald, ganz bald wird sich in Münster die Weissagung der Schrift erfüllen.«
    Alle Fragen hatte sie nicht gestellt. Sie wollte genießen. Glückliche, verwirrende Tage, sie hielt ihr Glück fest, und die Kinder umschwärmten den Vater. Nach dem letzten Besuch war Johann siegessicher in seine Wunderstadt zurückgekehrt. »Der Kampf gegen die alte Ordnung ist beinah gewonnen. Und Gott wird alle Tyrannen und Gottlosen auslöschen.« Seitdem hatte Wendel nichts mehr von ihm gehört.
    »Ich habe einen Brief!« Vor zwei Wochen war Lisabeth ins Haus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher