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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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verstümmelten Leib die Trommel ab, legten sie umgestülpt auf den Handwagen. Wie in einen Tiegel warf der Anführer den Kopf hinein. »Mehr brauchen wir nicht von ihm. Los jetzt!«
    Wendel stolperte, dann rannte sie mit.
    Ohne dass die Geschütze der Belagerer aufbrüllten, überquerte der Trupp die Zugbrücke, den befestigten Erdwall, die zweite Brücke, nacheinander drückten sich alle zwischen den Schanzen hindurch, und das geöffnete Tor nahm sie auf.
    »Gott ist groß!« Schreiend liefen Menschen zusammen, der Jubel schwoll an, Frauen schlugen Pech triefende Kellen aneinander, übermütig warfen Knaben Pfeil und Bogen in die Luft, Kinder klatschten den Rückkehrenden zu, von der Wehrmauer stiegen Arbeiter herunter. »Danket dem Herrn, denn er ist freundlich«, kaum war der Psalm angestimmt, als Bewaffnete, Frauen, alle mit einfielen, sich an den Händen fassten, hüpften und schrien: »Und seine Güte währet ewiglich!«
    Eng drängten sich die Töchter an ihren Rock, Wendel schützte die Köpfe mit den Armen. »Habt keine Angst«, flüsterte sie und fürchtete sich selbst.
    Ein Mann im langen Gewand der Gelehrten hob wie segnend die Hände und verlangte nach Ruhe. »Siegreich sind unsere Brüder aus dem Schlangennest der Gottlosen zurückgekehrt. Wir sind die Auserwählten des Herrn, und Jan Matthys ist sein Prophet!«
    Geschrei brandete auf. Unverwandt blickte Wendel zu dem Mann hinüber, wusste es mit einem Mal. In Wassenberg hatte sie ihn gesehen, ein Prädikant, ein Freund Johanns. Sie wollte rufen, doch die Stimme erstarb ihr auf den Lippen.
    Gewichtig schritt der Hauptmann auf den Handwagen zu, rot glühte sein Gesicht um das Wangenauge, an den Haaren zog er den Kopf aus dem Trommelkessel, hielt ihn hoch. »So rotten wir die Heiden aus!« Im Klatschen der Menge kletterte er über eine Leiter auf das Dach des Stadttores, schlang den Riemen der Trommel um die Spitze und pflanzte den Kopf, drehte das Gesicht dem Feind in der Ebene zu.
    »Noch etwas haben wir mitgebracht!« Kaum hatte er den Boden wieder erreicht, als er Wendel und die Kinder der Menge hinschob. »Eine Schwester hat ins Reich Zion gefunden, allein, durch alle Linien der Gottlosen!« Die Rufe wollten nicht aufhören.
    Vertraulich griff der Hauptmann ihren Arm, schob sich dicht an sie heran. »Zuerst bringe ich dich in das Fraterhaus zum Springborn. Dort bleibst du mit den Mädchen, bis du getauft bist. Meine Wohnung ist nicht sehr groß, aber ich lade dich in unsere Gemeinschaft ein«, fest presste er den Handrücken gegen ihre Brust, »niemand soll in der Heiligen Stadt allein bleiben.«
    Nichts ist wirklich, die Erschöpfung macht mich wirr. Doch sie spürte den Druck der Hand, Wendel versteifte den Rücken. »Ich suche meinen Mann.«
    »Fürchte dich nicht, dein Leben wird neu beginnen«, er lachte, »wen kennst du hier?«
    »Johannes Klopreis.«
    Sofort zuckte die Hand zurück. »Verzeih.« In den Schreck mischte sich helle Angst. »Ich bin ein einfacher Hauptmann«, seine Stimme haspelte, »verrate mich dem Prädikanten nicht.«
    Wendel blickte ihn nur an. Was redet er? Gerade hat er noch einem Jungen den Kopf abgeschlagen, war Herr und Schlachter, und jetzt zittert er vor Johanns Namen?
    »Gute Frau«, er fingerte nach dem behaarten Mal, »ärger dich nicht über mich. Vergiss meinen Vorschlag. Ich habe dich sicher in die Stadt gebracht, mehr nicht.«
    Ratlos nickte Wendel, und der Kerl rannte zu seinen Männern, schrie Befehle, teilte sie zum Wachdienst ein. Der Jubel hatte sich aufgelöst, die Frauen kochten Pech und Kalk in großen Tiegeln, neue Erde wurde auf die Schanzen getragen, die Schießübungen der Knaben gingen weiter, jeder war an seine Arbeit zurückgekehrt.
    Sie wehrte die Bilder ab, ich bin müde, das ist der Grund. »Schwester, endlich bist du ins Reich gekommen!« Mit weitgebreiteten Armen begrüßte sie der Wassenberger Prediger. Herzlich war sein Lachen. Wendel fror.
    Er griff nach dem Handwagen. Ja, Bruder Johann wartete seit Wochen ungeduldig auf ihre Ankunft. »Ich bringe dich zu seinen Räumen.« Sie nahmen die erschöpften Mädchen in die Mitte. Langsam schlurfte Wendel neben ihren Töchtern her, sah die Augen des kleinen Trommlers und schreckte hoch. Sie schleppten sich über die Aa, den Fluss, der sich wie eine Schlange quer durch das Neue Jerusalem wand.
    Auf dem Platz vor dem Dom türmten sich Glasfenster, zertrümmerte Altäre, angekohlte Bilder, zerbrochene Statuen, geköpfte Heilige, Holzkreuze mit

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