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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen
Autoren: Tilman Röhrig
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zerschlagenem Körper, der Berg überragte die Baumwipfel.
    »Wart ihr das?«, flüsterte Wendel.
    Begeistert berichtete der Wassenberger von den großen Säuberungen in der Stadt. »Nur das reine Haus ist die Wohnstätte des Allmächtigen.«
    Am Markt führte er die Erschöpften durch einen Bogengang, der sich wie ein lichtes Gewölbe unter den Fassaden der Patrizierhäuser hinzog, und blieb vor dem prachtvollsten Gebäude stehen. »Ihr seid angelangt. Im Haus des Bürgermeisters wohnen nur die würdigsten der Auserwählten, die Heiligen!« Ehrfurcht bebte in seinen Worten. Gesichter, Namen, Hände, die Kinder weinten vor Müdigkeit.
    Wendel bat, endlich schlafen zu dürfen, verlangte nach Johann. Nein, die Versammlung des Propheten und seiner Ratgeber kann nicht gestört werden.
    Wendel nahm das Zimmer nicht wahr, sah nur das Bett, rückte ihre Kinder dicht an sich heran, zehn Tage und eisige Nächte waren besiegt, die letzten Stunden vertrieb sie und durfte schlafen.
    »Wendel?«
    Seine Stimme öffnete ihre Augen. Vor der breiten Bettstatt kniete Johann, streckte beide Arme nach ihr und den Kindern aus. Mit einem tiefen Seufzer fasste sie seine Hände, zog ihn näher, zog ihn dicht an sich heran, wollte, dass er sie mit sich selbst zudeckte, sein Gesicht auf ihrem lag.
    »Ich bin gekommen. Johann.« Dein Geruch hat sich nicht verändert, dachte sie. so vertraut schmerzt dein Bart. Behutsam umfasste sie den Rücken, griff nach dem Mantel und breitete den Stoff weit, dass er auch die schlafenden Kinder wärmte.
    »Nichts kann uns mehr trennen«, flüsterte er, »wir haben einen Platz in der Stadt Zion.«
    Wendel schmeckte seine Tränen auf ihren Lippen. Nein, jetzt will ich nicht fragen. Nur dieser Raum soll unsere Welt sein.
    *

» I st heute Sonntag?« Mit gerunzelter Stirn stand Magdalene neben Lisabeth am Fenster, tastete nach der Schneckenspange, die den eingerollten Haarzopf festhielt, zupfte am Ärmel der warmen Jacke, strich das Kittelchen, unverwandt blickte sie zum Turm der Kirche, die schräg gegenüber am Ende des lang gestreckten Marktes aufragte.
    »Sag doch, Lisel.« Die Schwester hob die Schultern.
    »Ein schöner Sonntag.« Wendel gab Irmgard frei. Selbst meiner Dicken passen die schönen Sachen.
    »Wo?« Energisch drängte sich die Jüngste zwischen den Geschwistern zum Fenster. »Ich sehe nichts«, und reckte fordernd ihre Arme. Die Großen hoben sie, und zufrieden saß Irmel vor ihnen auf dem breiten Sims.
    Wie stolz er seinen hübschen Töchtern zusah. Wendel stand mit bloßen Füßen auf dem Teppich vor dem Lager und schnürte ihr Hemd über der Brust. Noch nie habe ich ihn so stattlich gesehen. Diese schwarze Samtschaube umgibt meinen Johann mit Würde. Wartet nur, gleich verwandle ich mich in eine feine Bürgerin und passe zu euch. Behutsam hob sie das reichbestickte Kleid vom Bett, hielt es an ihren Körper und drehte sich. »Soll ich es wirklich tragen?«
    Johann nickte, rieb die Fingerspitzen, verschränkte die Hände auf dem Rücken, nahm sie nach vorn, strich den Bart unter seinem Kinn, rieb die Fingerspitzen, nicht hastig, im stetigen Wechsel.
    Deine Unruhe ist Freude, nur das Glück. »Gestern kamen wir in Lumpen hier an.« Wendel streichelte den Reichtum. »Diese Falten. Du musst mich zu der Dame bringen, die es mir geliehen hat. Ich will mich bedanken, auch für die Kleider der Kinder.«
    »Trag es, und wenn es dir nicht mehr gefällt, besorge ich ein neues Gewand.« Stolz ließ er seine Hand durch den Raum gleiten. Bemalte Tapeten, zierliche Stühle um den Eichentisch, sogar eine Waschschüssel und Kerzenleuchter an den Wänden, nicht nur einarmige. »Das ist unser Zuhause. Gleich nebenan, in der Kammer, lese ich das Testament und schreibe für den Propheten, wenn er es verlangt.« Johann wiegte sich leicht in den Knien vor und zurück. »Nur dem Allmächtigen sollst du danken, Wendel. Du bist jetzt in Seiner Stadt, in der Stadt Davids, und Seine Auserwählten kennen das Wort Besitz nicht mehr. Niemand wird Not leiden. Gott gibt uns in seiner Güte alles, was wir benötigen.»
    Rasch versteckte Wendel ihr Gesicht hinter der Stickerei. »Johannes! Ich weiß, es ist Sonntag«, und ließ das Kleid sinken, »mein geliebter Apostel, nachher darfst du predigen.«
    »Ich bin Prädikant«, begehrte er auf, »versteh doch«, und stockte, er nahm ihr Schmunzeln an. »Du wirst es noch begreifen. Vorhin habe ich im Gewandhaus eure Kleider ausgewählt, und der Diakon musste sie mir überlassen.
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