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Uebergebt sie den Flammen

Uebergebt sie den Flammen

Titel: Uebergebt sie den Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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So einfach werden die Güter verteilt.« Immer wieder stieß er die Fingerknöchel aneinander. »Heute ist dein Tag, Wendel. Zieh dich an, wir dürfen nicht zu spät kommen.«
    Kein Besitz, und doch gehört es uns? Wir bewohnen zwei Zimmer in einem Haus, so prächtig wie ein Palast und sind nicht reich? Vielleicht bin ich noch nicht wach? Wendel schwang das Kleid im Kreis. Nackte Füße auf einem Teppich, wie gut sich das anfühlt. Sie streifte ihr Gewand über, zog das Ankleiden in die Länge und wusste, dass Johann jede Bewegung verfolgte, den Anblick genoss.
    Wie ein Kind tritt er von einem Bein auf das andere. Wenn er so lächelt, verschwinden die Narben, und er hat nur Augen. So offen, ohne Not, aus seinem Blick ist das Gehetzte der letzten Jahre gewichen.
    »Hier endet unsere Flucht, Wendel.«
    Mein Johann, ich wünsche es mit ganzem Herzen. Sie knöpfte das Mieder und richtete die Falten der Ärmel.
    Nach der traumlosen Erschöpfung hatte sie beim ersten Grauen des Tages sein Gesicht genommen. In Johanns Augen spiegelte sich ihre Sehnsucht, die entbehrte Lust hatte den Morgen bis zum Frieden gedehnt. Als sie seufzte, leuchtete Stolz in seinem Blick.
    Lange vor ihr war er aufgestanden, »Ich muss zum Empfang der Tageslosung, schlaf du noch«, zum zweiten Mal hatte er sie und die Kinder mit den Geschenken aufgeweckt. Kleider, Schnallenschuhe, Jacken, Umhänge, ein Berg aus warmem Glück. In einem Korb duftete frisches Brot.
    »Wenn Sonntag ist«, Lenel drehte sich zu ihrem Vater um, »warum läuten dann keine Glocken?«
    Mit leichten Schritten trat Johann zu seinen Töchtern ans Fenster. »Die Lambertikirche, auch der Dom hinter unserem Haus und alle Kirchen sind die Gebäude der Gottlosen gewesen. Dort haben die lasterhaften Lutheraner und die Pfaffen des Papstes ihre Götzendienste gefeiert, die Gemeinde betrogen und verführt. Habt keine Angst. Vor wenigen Wochen haben wir die Diener des Teufels und das ganze Heidenpack zur Stadt hinausgejagt. Im Neuen Jerusalem läuten keine Glocken zum Kirchgang. Den heiligen Sonntag gibt es nicht mehr, den hat der Papst erfunden, bei uns ist er nur der erste Tag der Woche.«
    Irmel strahlte den Vater an, zupfte an seinem Bart, auf Lenels Stirn blieben zwei kleine Falten, wichtig hob Lisabeth den Zeigefinger. »In Büderich hast du doch gesagt …« Schnell strich ihr der Vater über den Kopf. »Frag jetzt nicht. Wir sind in der Heiligen Stadt. Ab morgen gehst du zur Schule, dort wirst du alles lernen.«
    Wendel fasste seine Schulter, zog ihn von den Kindern weg. »Verwirr die Mädchen nicht mit deinen Geschichten. Mach dich nicht lustig über uns.«
    »Sie müssen es lernen. All das Neue erfahren.«
    Vorsichtig schüttelte Wendel den Kopf, sah die überzeugten Augen, mit einem Mal fand sie wieder die dunklen Narben in seinem Bart. Die Trümmer vor dem Dom! Zerstückelte Bilder, Heilige, Altäre, die großen Kreuze! Dieser Berg war kein Traum. Bis in den Hals hinauf schlug ihr Blut.
    »Wann predigst du. Johann?«
    »Nicht oft. Wir Prädikanten lesen in der Schrift, beweisen, dass die Gemeinschaft der Auserwählten nur den Befehlen Gottes folgt.«
    »Wo, Johann?«
    »Der Prophet weissagt draußen auf dem Markt, oder wir versammeln uns mit ihm vor dem Dom. Jeder, den der Herr erleuchtet, kann zur Gemeinde sprechen, auch du. Vor Gott sind wir alle gleich.«
    Warte auf mich, es geht zu schnell. »Alle sind gleich?« Johann nickte, wiegte sich in den Knien.
    »Bitte, beweg dich doch nicht ständig!«
    »Ich bin ganz ruhig«, mitfühlend lächelte er, sein Körper federte, »die lange Wanderung hat dich mitgenommen.«
    Wendel schluckte heftig. Warum merkt er seine Unrast nicht? Still, vielleicht bin ich wirklich nur erschöpft. Ich muss meine Gedanken ordnen. Kein Oben und Unten? Was ist mit dem Propheten? Gestern sprach der Wassenberger ehrfürchtig von dem Bürgermeister und den Würdigsten der Auserwählten, und doch sind alle gleich? Dieser schreckliche Hauptmann mit den drei Augen zuckte zurück, als er Johanns Namen hörte.
    »Bist du ein mächtiger Mann, Johannes?«
    Hochaufgerichtet antwortete er: »Vier Prädikanten unter der Leitung von Bruder Bernhard dürfen die geistlichen Ratgeber des Propheten Matthys und seines Stellvertreters Jan Bockelson sein. Wir sind die wahren Gelehrten der Stadt Zion.« Er schritt vor ihr auf und ab. »Wendel, wir sind würdig und haben das Recht, mit den anderen Heiligen hier im Haus des Bürgermeisters Knipperdolling zu wohnen.«
    Sie

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