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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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und dem Vogelgezwitscher zuhörten. Trotz der Schönheit des Parks, einer vom Krieg unberührten Welt, fanden wir die Ruhe nicht, die wir so nötig hatten. Herbst und Winter standen bevor. Die Fronten kamen näher, die Luftangriffe wurden heftiger, die Lebensmittel knapper.
    „Suche Privatlehrer oder -lehrerin für meine Kinder“, so stand es auf Anschlägen zu lesen, die an Bretterzäunen, Bäumen oder Hausruinen angebracht waren. Die immer häufiger werdenden Luftangriffe hatten die Berliner Verwaltung veranlaßt, die Schulen der Stadt zu schließen und die Schüler in von Bomben verschonte Gebiete wie Schlesien, Bayrische Berge und das Sudetenland zu evakuieren.
    Schüler, deren Eltern sich nicht von ihren Kindern trennen wollten, durften in Berlin bleiben. Meine Mutter fand, daß sie für die Tätigkeit einer Privatlehrerin geeignet sei. Sie stellte sich als Witwe eines Studienrates vor und hatte bald eine immer zahlreicher werdende Schülerschar um sich. Daß sie niemals mit dem Deutschen Gruß grüßte, fiel niemandem auf. Man zahlte gut, und man mochte sie. Es ergab sich aus Gesprächen der Kinder, daß einige der Eltern Mitglieder der NSDAP waren.
    Meine Mutter verlor einige ihrer Schüler als Folge eines Führerbefehls, „für den Endsieg“ sei in ganz Deutschland der „Deutsche Volkssturm“ zu bilden von waffenfähigen Männern von 16 bis 60 Jahren. Es war Hitlers letztes Aufgebot. Aus den Geländespielen der Hitlerjugend wurde nun bitterer Ernst. Junge Burschen taten Dienst an den Flakgeschützen auf den Dächern von Luftschutzbunkern. Sie marschierten in ihren Hitler-Jugend-Uniformen auf den Straßen mit Gewehren, die ihrer Größe kaum entsprachen. Ältere Männer in Zivil, das Gewehr geschultert, machten einen niedergeschlagenen Eindruck, als sie von Soldaten zu den Sammellagern geführt wurden. Sie sollten an Vorbereitungen zur Verteidigung der Stadt mitarbeiten.
    Herr König war nicht zur Wehrmacht eingezogen worden, obwohl er altersmäßig dafür in Frage kam. Grinsend verwies er auf meine Frage danach auf seine Beziehungen: „Über die Partei natürlich“ und zeigte mir sein Parteiabzeichen, das er bereits unter dem Revers seines Jacketts versteckte. Unser Freund Walter Rieck, der wußte, wie dringend ich Beschäftigung brauchte, hatte mich Herrn König als Aushilfskraft empfohlen. Er verwaltete das Haus, in dem sich das Antiquariat von König befand (Berliner Str.). Trotz seiner guten Beziehungen hatte auch König seine Angestellten an die Rüstungsindustrie abgeben müssen.
    Er kenne mich, Inge Richter, seit Jahren, hatte Rieck dem König erzählt. Einer Knieverletzung wegen könnte ich in der Fabrik nur begrenzte Zeit an der Maschine stehen und wäre sicher in der Lage, ihm an einigen Nachmittagen der Woche auszuhelfen.
    König fand Gefallen an mir. Ich zeigte meine Freude an den schönen alten Büchern, die er auf Auktionen erstanden hatte, und ihm gefiel meine Wißbegierde. Als er einmal neben mir stehend einen Stapel Bücher durchsah, sagte er plötzlich hämisch lachend: „Der Kommerzienrat Levy dürfte auch schon in einem Massengrab schmoren.“ Er hatte den Namenszug des ehemaligen Besitzers in einem der Bücher gefunden. Mühsam beherrschte ich mich und schwor mir, diesen Satz nie zu vergessen.
    Ob ich englisch spräche, fragte er eines Tages. Als ich dies bejahte, war er begeistert. „Dann können Sie mein Geschäft führen, wenn die Amerikaner kommen. Ich als PG werde das wohl kaum dürfen.“ Nein, an den Endsieg glaube er längst nicht mehr. Er sagte es sehr überzeugend.
    Es war zur Zeit der Ardennen-Offensive. Hitler mobilisierte im Dezember 1944 alle der Wehrmacht noch zur Verfügung stehenden Kräfte. 250.000 Soldaten hatten den Auftrag, die Alliierten zum Atlantik zurückzuwerfen. Die Luftwaffe unterstützte mit 1.400 Maschinen diese entscheidende Schlacht. Tatsächlich erzielten die deutschen Truppen einige Geländegewinne. Die deutsche Propaganda jubelte. Die Menschen schöpften Hoffnung, glaubten an eine entscheidende Wende im Kriegsgeschehen. Wir schliefen schlecht in jenen Tagen vor Angst, daß dies tatsächlich der Fall sein könnte. Doch die Alliierten schlugen zurück. Es hielt sie im Westen nichts auf und auch nicht die Sowjets im Osten. Beide hatten längst die deutschen Grenzen überschritten.
    Nur einmal noch sah ich die Berliner froh und zuversichtlich. Es war, als am 12. April 1945 bekannt wurde, daß der amerikanische Präsident Roosevelt gestorben war.

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