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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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Kritikern und Zweiflern. Das schreckliche Schicksal des Mannes, dessen wir heute hier gedenken, Carl von Ossietzky, wurde zum furchtbaren Beispiel dafür. Sein Name ist mir seit meiner Kindheit geläufig. Meine Eltern scheuten sich nicht, auch in meiner Gegenwart über den von ihnen so geschätzten Kämpfer für Freiheit und Recht zu sprechen.
    Die Grausamkeit nazistischer Methoden traf aber auch Staatsbürger, die sich, vielfach politisch ungebunden, nur über den Habitus der Herrschenden lustig gemacht hatten oder über die Zustände, die sie schufen. Dies alles galt dem Ziel der Nazis, die Totalität ihres Systems durch Furcht, Angst und Schrecken im deutschen Volk zu festigen. Jeder, der sich dem widersetzte oder auch nur den Anschein dafür gab, mußte aus dem Weg geräumt werden. „Was gibt’s für neue Witze?“ , fragt Müller den Schulz. Dessen geflüsterte Antwort: „Sechs Monate KZ!“
    Aus Statistiken geht hervor, daß viele Tausende aus allen Teilen Deutschlands, aus allen demokratischen Parteien, den Gewerkschaften, selbst den Kirchen, in derartigen Lagern des Grauens auf deutschem Boden ihre Opfer wurden. Eine Tatsache, von der in den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik kaum Notiz genommen wurde. Es ist schwer, dafür eine Erklärung zu finden.
    Denn es war niemandem verborgen geblieben, was in diesen Lagern geschah. Die Quelle ihrer Kenntnisse waren Berichte ehemaliger Häftlinge, die nicht über ihr Martyrium schwiegen, wie sie mit ihrer Unterschrift hatten versichern müssen.
    Und doch fand man immer wieder Gelegenheit, zu lachen in Deutschland. Noch lachte man gemeinsam: Nichtjuden und Juden. Beide Seiten waren in den ersten Monaten des Naziregimes überzeugt davon, daß diese schreckliche Regierung sich nicht an der Macht würde halten können. Drei Monate gaben sie ihr, ähnlich den schwachen Regierungen während der Weimarer Republik.
    An der Form des linken Ohrs würde die Rassezugehörigkeit erkennbar, erklärte ein nationalsozialistischer Rasseforscher seinem Publikum. Juden seien Nichtarier im Gegensatz zu den Deutschen – den Ariern. Die Form und die Zeichnung des linken Ohrs eines Juden ließen deutlich die semitische Abstammung erkennen. Ein arisches Ohr wäre viel klarer in seiner Form. Um dies zu demonstrieren, bat er einen jungen Mann aus dem Publikum aufs Podium. Triumphierend führte er dessen linkes Ohr vor und bewies auf seine Weise, daß es sich deutlich um ein typisch arisches Ohr handelte. Dieser Naziwissenschaftler ahnte nicht, daß der so Vorgeführte Jude war. Aus begreiflichen Gründen legte dieser keinen Wert darauf, dies der Nazigesellschaft zu offenbaren. Und so wurde das linke Ohr eines Juden zu einem arischen Demonstrationsobjekt. Noch lachte Berlin, lachte, lachte über so viel Unsinn.
    In diesen ersten drei Monaten gelang es den Nazis, ihr System auf ihre Weise zu stabilisieren. Als es gesichert schien, wandten sie sich den Juden zu, dieser bis dahin in der deutschen Gesellschaft fest integrierten Minderheit. Ihre Verfolgung stand an oberster Stelle, sowohl auf dem Partei- wie auch auf dem Regierungsprogramm der Nazis.
    Eine ihrer ersten Maßnahmen, der Wirtschaftsboykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, verlief aus der Sicht der Machthaber nicht unbedingt zu ihrer Zufriedenheit. Es gab damals noch Berliner, die sich nicht um die SA-Männer scherten, die breitbeinig in ihren khakifarbenen Uniformen vor jüdischen Geschäften Aufstellung genommen hatten. Oft wollten die Berliner mit ihrem Eintritt in die Geschäfte nur ihre Sympathie mit den jüdischen Inhabern bekunden. In anderen Städten hatten die Nazis andere Schwierigkeiten. So erhielt Julius Streicher, ein führender Antisemit der Nazis, an jenem 1. April ein Telegramm aus einer norddeutschen Kleinstadt: Darin hieß es: „Sendet sofort Juden Stopp Sonst Boykott unmöglich.“
    Dennoch wurde der Boykott zum Auftakt für eine Serie von Maßnahmen gegen die Juden. Sie alle basierten auf dem sogenannten Arierparagraphen, mit dem 1933 das Prinzip der Rassentrennung eingeführt worden war. Danach galt das Blut von Juden, also von Nichtariern, dem damaligen Sprachgebrauch entsprechend als artfremd und müsse ausgeschieden werden. Beamte des Innenministeriums, die auch in der Nachkriegszeit dem deutschen Staat dienten, erklärten dem deutschen Volk, wie das zu geschehen habe. Betroffen davon waren alle Juden einschließlich ihrer Großmütter. Familien, die nur eine jüdische Urgroßmutter

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