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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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angekündigten Datum im Juni 1944 ließ man den blinden Mann nicht ein.
    Kurz darauf erfuhr er, daß seine Freundin Alice in ein Nebenlager in Christianstadt überwiesen worden war. Dort hatte er mehr Glück. Er traf einen polnischen Zivilarbeiter, der im Lager aus- und einging. Gegen ein Entgelt suchte und fand dieser Alice unter den dort arbeitenden Frauen. Von da an konnte Weidt Alice mit Verbandszeug, Medikamenten und Stärkungsmitteln versorgen. Von größerer Bedeutung aber war die Nachricht, die er Alice zukommen ließ: Er habe im nahen Ort ein Zimmer gemietet und dort Geld und Kleidung für sie hinterlegt. Sie solle, so bald sie könne, dorthin fliehen. Und so ist es schließlich auch gekommen. Eines Tages stand sie wieder in Berlin vor der Tür der Blindenwerkstatt.
    Es war am Nachmittag des 6. Juni 1944. Die Tür unseres Papiergeschäfts wurde plötzlich aufgerissen. Jemand rief mit lauter Stimme in den Laden hinein: „Die Blätter sind gefallen“, schloß die Tür ebenso schnell wieder und verschwand. Grete und ich brauchten einige Zeit, um zu begreifen, was uns Käte Schwarz, eine unserer vertrauenswürdigsten Kundinnen, hatte mitteilen wollen. Dann erinnerten wir uns. Diese Worte stammten aus einer Rede, die der britische Premierminister im Unterhaus gehalten hatte. Winston Churchill hatte darin auf eine bevorstehende Invasion mit den Worten hingewiesen: sie werde durchgeführt werden, „bevor die Blätter fallen“. Dieser Hinweis war sowohl für das britische Volk bestimmt, das unter dem Beschuß deutscher Raketen litt, wie auch für das deutsche Volk, das nun schon Monate unruhig Berichte und Argumente verfolgte, die für oder gegen eine mögliche Invasion sprachen.
    Alliierte Truppen waren in der Nacht vom 5. zum 6. Juni 1944 nahe Cherbourg gelandet. Im deutschen Heeresbericht am 7. Juni wurde diese Tatsache mit nichtssagenden Worten bekanntgegeben. Unsere Versuche, aus ausländischen Sendern mehr zu erfahren, schlugen fehl. Die Störsender waren verstärkt worden. Dennoch war nach drei Tagen klar, daß die Invasion unter großen Verlusten auf beiden Seiten geglückt war und Tausende von englischen und amerikanischen Soldaten in der Normandie Fuß gefaßt hatten. Im deutschen Heeresbericht wurde der Meldung über die Invasion alliierter Truppen hinzugefügt, deutschen Soldaten sei es gelungen, einen Keil in die englischen Stellungen zu treiben. Überdies habe man die englische Küste mit neuartigen Waffen bombardiert. Dies habe eine Massenflucht aus London zur Folge gehabt. Weitere Vergeltungsschläge würden folgen.
    Die deutsche Führung hatte Wochen zuvor immer wieder versichert, die Alliierten würden eine Invasion nie wagen. Eine Niederlage an den mit modernsten Waffen gespickten Befestigungen wäre ihnen sicher. Doch viele Menschen waren skeptisch. Amerikaner und Engländer waren allein zahlenmäßig den Deutschen überlegen. Überdies würden nur die Sowjets davon profitieren. Der Kampf im Westen würde sie entlasten. Vor den Russen hatten die Deutschen eine fast panische Angst. Ihnen waren die Verbrechen deutscher Truppen an der russischen Bevölkerung nicht verborgen geblieben. Berichte erreichten die Berliner, nach denen auf deutsches Gebiet vordringende russische Truppen an Deutschen Rache nahmen. Die Bevölkerung war nervös wie nie zuvor in diesen Kriegsjahren, in denen sie so lange Sieger gewesen waren. Sie verloren das erste Mal ihre Sicherheit.
    Eines Tages erschreckte uns eine Kompanie Soldaten, die mit Sturmgepäck ausgerüstet auf dem Fehrbelliner Platz Stellung bezog. Doch sie blieben dort nur wenige Stunden. Dann marschierten sie wieder ab, so geräuschlos, wie sie gekommen waren. Die Erklärung folgte Tage später. Deutsche Offiziere hätten ein Attentat auf Adolf Hitler verübt. Für den Fall, daß es gelänge, sollten Kompanien an strategisch wichtigen Punkten der Stadt Aufstellung nehmen. Das Attentat schlug fehl. Als die Kompanie abmarschierte, dem Befehl Hitler-treuer Offiziere folgend, waren jene, die das Attentat gewagt hatten, längst erschossen worden. Mit ihnen Verbündete wurden nach Schauprozessen vor dem Volksgerichtshof verurteilt und hingerichtet. Tausende von Soldaten wurden verhaftet. Die Nazis überschlugen sich in ihrer Wut gegen die, die das Ende des Krieges und der Naziherrschaft herbeiführen wollten. Ihre Brutalität gegenüber den Attentätern und ihren Familien kannte keine Grenzen.
    Das deutsche Volk aber blieb stumm, als ob es sich unter den

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