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Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Überm Rauschen: Roman (German Edition)

Titel: Überm Rauschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Scheuer
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solle; manchmal legte sie sich zu mir ins Bett, ihre Fingerkuppen krabbelten kitzelnd über meinen Bauch. An der Zimmerdecke schimmerten Spiegelungen des unten am Haus vorbeiziehenden Flusses, darauf trieben wunderbare Dinge, die jetzt für immer verloren scheinen.
    Damals gingen Hermann und ich oft mit Vater fischen. Wenn im Spätherbst Angler und Sommerfrischler abgereist waren, gehörte uns der Fluss allein. Für Vater schien das die schönste Zeit, er war meist gut gelaunt und seltener betrunken als sonst. Wir gingen mit ihm zur Stelle vor der Bahnunterführung, um Hechte zu angeln. Vater erzählte uns von Paul Maclean, einem berühmten amerikanischen Fliegenfischer, der nach dem Krieg in Westfalen als Helikopterpilot stationiert gewesen war. Vater war zu dieser Zeit mit Freunden unterwegs auf einer Radtour an der Werre. Als sie rasteten, kreiste ein Hubschrauber über ihnen. Dann sei er ein Stück den Fluss hinaufgeflogen, so tief, dass die Kufen fast das Wasser berührt und Wellen erzeugt hätten, die über das Ufer schwappten. Schließlich stieg der Helikopter wieder auf, wendete, kam zurück und setzte auf einer Wiese in ihrer Nähe zur Landung an. Während sich noch die Rotorblätter drehten und der Wind ihnen die Mützen vom Kopf fegte, sprangen zwei amerikanische Soldaten heraus. «Und weißt du, wer der eine von ihnen war?» Vater machte eine lange Pause, sah Hermann an – wenn er diese Geschichte in der Gaststätte zum Besten gab, blickte er in die Runde, wartete und posaunte schließlich: «Der große Paul Maclean, der andere trug nur seine Angelausrüstung, saß am Ufer, rauchte und trank. Ich habe mit Paul gefischt, der hat mir seine Rute geliehen und mir gezeigt, wie man’s macht.» Maclean hatte Vater angeblich von den Flüssen in Montana erzählt, in denen er vor dem Krieg gefischt hatte. Vater besaß eine Köderfliege von ihm, die er in der Brusttasche seiner Weste immer mit sich trug. Später, nachdem Pauls Bruder Norman Maclean das wunderbare Buch über seinen Bruder und das Fliegenfischen geschrieben hatte, schickte er Vater eine Erstausgabe mit Widmung. Da es noch keine deutsche Übersetzung gab und Vater kaum Englisch konnte, übersetzte Hermann ihm das ganze Buch. Vater trug es immer bei sich, konnte es bald auch in englischer Sprache lesen, er blätterte oft am Ufer sitzend darin, zitierte mitunter ganze Passagen, die er auswendig kannte.
    Doch wenn wir am Fluss ankamen, hörte Vater auf zu reden. Er hielt seinen Finger an den Mund, oder er legte die Hände an die Ohren, wie zu einer Muschel, um anzudeuten, dass die Fische jetzt alles hörten. Wir gingen zu den tiefen Stellen am Bahndamm oder am Wehr, wo das Wasser fast stillsteht und die großen Hechte ihre Reviere haben. Der Fluss war von bunten, schwimmenden Blätterteppichen bedeckt. Wir konnten dann nicht spinnfischen, da die Schnur auf den Blättern liegen geblieben wäre, der Köder sich nicht richtig hätte führen lassen. Da es kälter geworden war, die Sonne nicht mehr bis auf den Grund des Flusses schien und das Wasser nicht ausreichend erwärmt wurde, waren viele Unterwasserpflanzen verschwunden und damit auch die Beutetiere des Hechtes, der im Herbst hungriger und gieriger ist als zu anderen Jahreszeiten.
     
    Als ich gestern Morgen im Zug saß und hierherfuhr, hoffte ich noch, dass Hermann sich mittlerweile besonnen habe und wie jeden Morgen die Frühstücksbrötchen für die Gäste geholt, Alma beim Eindecken der Tische geholfen und danach Bier-, Cola- und Weinflaschen aus dem Keller heraufgetragen habe, um sie ins Kühlfach hinter der Theke zu legen. Ich fragte mich während der Fahrt immer wieder, wieso er plötzlich aufgehört hatte zu fischen und nur noch diese Köder band, wieso er keine Fische mehr fangen wollte, mit Ausnahme dieses alten Fisches, dieser Schimäre, hinter der auch Vater schon hergewesen war. Auf manchen Kassetten, die Hermann mir geschickt hatte, sprach er davon, dass er mit mir angeln gehen wolle, so als würde erst das richtige Brüder aus uns machen. Aber ich habe ihm nie darauf geantwortet, für mich war das unwichtig. Auch gestern auf der Fahrt hatte ich immer wieder den Impuls zurückzufahren, bedauerte, dass ich wichtige Besprechungen versäumte. Ich wusste nicht, was ich eigentlich hier sollte, ich würde meinem Bruder doch nicht helfen können – zu lange haben wir in unterschiedlichen Welten gelebt –, auch wenn er mir immer wieder diese Kassetten schickte, die ich meist ungehört in einen

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