Überman

geparkten Autos. Vollgepackt wie eine alleinerziehende Mutter mit acht Kindern stoppe ich im letzten Drittel des Wachblocks noch bei der Commerzbank.
    »Kann ich bei Ihnen Griechen-Euros in deutsche tauschen?«, frage ich. Zählen brauche ich nicht, denn die Dame schaut mich gar nicht an, sondern den Wurmwagen mit den Flecktarnrucksäcken und den acht REWE -Tüten. Ich trage null Augensekunden ein.

Noch 6  Wachblöcke
    Schlafe fest und knackig wie eine gekühlte Lauchstange und werde schon wieder von Mickie Krause geweckt, dieses Mal mit »Ich bin solo«.
    Ich nehme eine rote Pille und trinke einen Espresso, dann prüfe ich die Liefersituation des beliebtesten Stromerzeugers bei Amazon.
›Lieferbar ab dem 22 .  12 .  12 ‹
steht dort tatsächlich. Genausogut könnten sie schreiben
›Lieferung vor Weltuntergang nicht garantiert‹.
Also trage ich eine weitere Null in meine Angstformel, püriere im Mixer eine Packung CurryKing als Babynahrung für den Wurm und ziehe mich an, um meine Rinder zu besuchen.
     
    Schon von weitem sehe ich, dass Trulli und Lotta West-Ost stehen, was das komplette Gegenteil der Normposition ist. Doch zunächst interessiert mich der Tierpark selbst, irgendwie muss das Vieh ja schließlich raus. Wie solide sind die Tore? Gibt es womöglich eines, das nicht wirklich einsehbar ist? Was ist mit Kameras? Da es bereits dunkel ist, kann ich unbemerkt den Zaun abschreiten.
    Nach einer Viertelstunde stehe ich vor einem sehr stabilen Holztor, welches zum Stadtwald führt. Als ich dran ziehe, stelle ich erfreut fest, dass es zwar stabil ist, aber nicht verschlossen. Sollte dem morgen auch noch so sein, hätte ich leichtes Spiel.
    Trotz der schon vermerkten Rindsabweichung gehe ich noch einmal näher zu den Tieren, um ihren Gemütszustand zu prüfen. Sie wirken ruhig, wenn man die enorme Abweichung bedenkt, aber warum sollten sie auch aufgeregt sein, denke ich mir, sie sind ja nur Messinstrument der Angst, und schließlich schwitzt ein Thermometer auch nicht bei 35  Grad.

Noch 5  Wachblöcke
    Zu Hause übertrage ich die von mir gesammelten Werte in meine Formel zur Vermessung der Angst. Fünf mal zwei rückwärts geparkte Autos ergibt zehn. Dazu addiere ich die enorme Rindwinkelabweichung von neunzig, was hundert ergibt. Der untere Teil der Formel gestaltet sich noch einfacher, da sowohl die Augensekunden als auch die Lieferzeit des Generators den Wert null aufweisen. Bleiben die zwei CurryKing aus dem REWE und somit hundert geteilt durch 2 . Starr vor Schreck hebe ich meinen Blick: Die Angst hat sich verzehnfacht! Fünfzig DADA auf der nach oben offenen Peters-Skala. Jetzt gibt es keine Fragen mehr. Und keine Entschuldigung.

Noch 4  Wachblöcke
    Den vierten Wachblock bis zur Übernacht nutze ich zum Befüllen der Rucksäcke, in die ich die individuellen Sachen packe, wie zum Beispiel Windeln und CurryKing für den Wurm, Hundefutter und Bio-Riegel für Paula, ein
Schlag-den-Raab
-Brettspiel für Manni und Zigaretten für Phil, die dumme Sau.
    Ein Punkt nach dem anderen verschwindet auf meiner Liste, doch leider kommen ständig neue hinzu: Mannis Kamera! Und Unterhaltung! Hab ich Filme, die ich zeigen kann, Bücher, die ich mitnehmen sollte? Einen Abend kann man ja Wein trinken und vielleicht einen zweiten. Aber dann? Weiß ich nicht vom Bunker-Chef, dass man seine Leute immer beschäftigt halten muss? Ich lade mir
Men in Black  3
,
The Amazing Spider Man
und
Total Recall
herunter. Ich renn sogar zum Kiosk, um die neue
Kraut & Rüben
für Paula zu kaufen, aber der hat noch gar nicht offen.

Noch 3  Wachblöcke
    Kurz und gut geschlafen und von Lady Gaga geweckt worden, als Belohnung dafür, dass ich mich von meiner Schlagerzufallsliste verabschiedet habe.
    Ich quäle mich hoch, dusche mich, nehme eine rote Pille. Drei Wachblöcke noch, das sind zwölf Stunden. Hab Zusagen von allen, nur von Annabelle nicht. Den Brief hat sie gelesen, so wie die SMS formuliert war, das weiß ich. Zieh mich an und geh zu ihr, um die Kreiderinderspur zu legen.
     
    Als ich das erste Rind vor Annabelles Wohnung auf den Bürgersteig zeichne, werde ich langsam ruhiger. Es ist die Ruhe eines Mannes, der alles tut, was er kann. Sprüche von Passanten blende ich aus. Irgendwas mit »Sind doch kein Kind« und »Wird das Kunst?« Muss damit leben, dass man mich für verrückt hält, aber wenigstens werd ich überleben. Ich und Annabelle und meine Freunde.
    78  Kreiderinder male ich in über zwei Stunden. 78