Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Hannah damit allerdings nicht. Sie blieb dabei: Es würde noch dauern.
Aber die Schmerzen wurden immer schlimmer. Ich schleppte mich in die Küche und legte mich über die Arbeitsplatte, um dort zu atmen und vor mich hinzuwimmern. Irgendwann war auch Ralf wach und rief vom Schlafzimmer herunter: »Alles klar, Schatz?«
»Ich sterbe nur, aber bleib ruhig liegen«, antwortete ich unter Stöhnen. »Ich bau mir eine Standleitung zu Hannah auf.«
Fortan ließ ich alle halbe Stunde bei Hannah das Telefon klingeln.
»Ich kann nicht mehr!«
»Doch, doch, du kannst noch.«
»Ich kann wirklich nicht mehr!«
»Du hast noch Zeit, glaub mir!«
Irgendwann kam Ralf in die Küche. »Kann ich dir nicht doch irgendwie helfen?«, fragte er mitleidig.
Ich schüttelte kurz, aber bestimmt den Kopf. Allein schon der Gedanke, eine Rückenmassage oder sonst etwas zu bekommen, machte mich schier wahnsinnig. Hilflos trottete er zurück ins Bett. Nach einer weiteren Stunde, als ich die Schmerzen einfach nicht mehr ertrug und dachte, der Muttermund müsse nun schon mindestens einen halben Meter geöffnet sein, rief ich Hannah zum x-ten Mal an. Endlich erbarmte sie sich. »Okay, dann treffen wir uns um fünf in der Klinik.«
»Um fünf?«, stieß ich entsetzt hervor. »Das ist ja noch eine ganze Stunde!«
»Wenn du willst, fahr ruhig schon vor, ich bin dann um fünf da«, sagte sie und legte auf.
Ich war der Verzweiflung nahe. Doch Hannah wäre nicht meine Hebamme, wenn sie nicht immer recht hätte.
KAPITEL 5
D a ist ja noch gar nichts offen«, stellte Hannah mit Bedauern fest.
Ich konnte es nicht fassen. Über fünf Stunden diese höllischen Schmerzen für nichts und noch mal nichts! Ich war am tiefsten Tiefpunkt der Frustration angelangt.
»Dann helf’ ich jetzt mal nach«, sagte Hannah aufmunternd und begann, mit ihren langen, schmalen Fingern meinen Muttermund zu dehnen. Mit Müh und Not kam sie auf zwei Zentimeter. Bei dieser Aktion überfiel mich eine derart brutale Wehe, dass mir auch noch übel wurde und ich erbrechen musste. Ich wischte mir mit einem Papiertuch den Mund ab und tat mir selbst unendlich leid.
»Wie sieht’s denn mit ’ner PDA aus?«, fragte ich eher fordernd. Ich hatte wirklich keine Kraft mehr.
»Das geht leider nicht. Dafür ist es noch viel zu früh. Dann öffnet sich gar nichts mehr«, erklärte mir Hannah.
Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich, wie sich Verzweiflung anfühlt. Ich suchte Hannahs aufmunternden Blick, aber sie schaute besorgt auf den Wehenschreiber.
»Die Herztöne werden schwächer, wir rufen besser Dr. Leist dazu«, sagte sie.
Hannah und die Gynäkologin berieten sich und kamen zu dem Ergebnis, mir am besten einen Wehenhemmer zu geben. Im ersten Moment war ich zwar erleichtert, aber es kam mir völlig absurd vor so mitten im Geburtsprozess.
Schon wenige Minuten, nachdem sie mir den Tropf angelegt hatten, wurden die Schmerzen erträglicher. Nun wollte mich auch Dr. Leist untersuchen. Sie tastete und tastete und runzelte dann die Stirn. »Das Köpfchen ist nicht mehr im Becken.«
Ich fiel innerlich zusammen. Hier geht ja gar nichts voran, stattdessen geht alles wieder zurück!
Anscheinend fühlte sich Leni da unten nicht wohl und suchte sich ihren eigenen Weg, der falscher nicht hätte sein können.
»Wir haben nun zwei Möglichkeiten: Entweder warten wir ab, oder wir machen einen Kaiserschnitt«, schlug Dr. Leist vor.
»Einen Kaiserschnitt«, antwortete ich unverzüglich und fühlte mich, als ob ich in der Lotterie gewonnen hätte. Zum ersten Mal seit Stunden konnte ich wieder lächeln. Mir wäre alles recht gewesen, um endlich diesen Qualen zu entgehen. Auch Ralf war sichtlich erleichtert über diese Option. Die ganze Zeit hatte er mit bangem Blick neben mir ausgeharrt. Da er wusste, dass ich in Extremsituationen schnell aggressiv werden konnte, hielt er sich dezent im Hintergrund. Bei Yaras Geburt hatte er mir einmal über den Kopf streicheln wollen, doch ich hatte seine Hand weggeschlagen und ihn angefahren, dass er mich in Ruhe lassen soll. Ich gehörte nun mal nicht zu der Sorte Frau, die während einer Geburt betüddelt und getröstet, geschweige denn massiert, gestreichelt oder gehalten werden will. Das Einzige, was ich brauchte, war ein Bett, in dem ich während der Wehenpausen schlafen konnte.
»Möchten Sie wirklich einen Kaiserschnitt?«, hakte die Ärztin kritisch nach.
Ihrer Skepsis zum Trotz antwortete ich mit fester Stimme: »Ja, bitte, ich kann nicht
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