Überraschung kommt selten allein
verdanken hatte. Sie stellte den Wein in den Kühlschrank. Sie hatte eine unangenehme Pflicht zu erledigen und würde ihn als Unterstützung brauchen.
Alberta zog ihre Jacke aus und brauchte einige Minuten, bis sie sich daran erinnerte, wo sie ihren Schreibblock hingelegt hatte. Nachdem sie ihn schließlich gefunden hatte, setzte sie sich und runzelte die Stirn. Sie starrte auf das leere Blatt Papier und seufzte. Dann schaute sie aus dem Fenster und seufzte wieder. Vielleicht sollte sie Marma anrufen und ihr davon berichten, dass sie ihren Job behalten hatte. Das konnte sie erledigen, solange sie darauf wartete, dass der Wein kalt wurde.
Sie äußerte sich ein wenig vage darüber, warum ihre Chefin ihre Meinung geändert hatte. Sie erwähnte Missverständnisse und ein klärendes Gespräch. Zum Glück schienen Marma die Details gar nicht zu interessieren. Sie freute sich einfach darüber, dass Albertas Zukunft wieder in geraden Bahnen verlief.
»Ich finde, das sollten wir feiern«, sagte Marma. »Warum kommst du nicht am Wochenende wieder her? Hilda wird da sein und würde sich bestimmt freuen, dich zu sehen.«
Alberta warf einen Blick auf das Buch Bekenntnisse einer pensionierten Lehrerin . Bei all der Aufregung über die Repton-Geschichte hatte sie die E-Mail vergessen, die sie vor Kurzem von Felicity Fullock bekommen hatte. »Ich kann nicht«, sagte sie. »Ich besuche am Samstag eine Freundin von Ed.«
»Ah ja«, sagte Marma. Sie machte eine Pause, dann wiederholte sie: »Ah ja.«
So war das immer. Alberta hatte vergessen, dass es immer so war. Einen Augenblick lang war sie versucht, die ganze dunkle Geschichte ans Licht zu zerren und ihr so ein für alle Mal ihre Macht zu nehmen. Jetzt, wo sie Marma so oft sah, erschien ihr der Gedanke absurd, Stillschweigen über das Jahr nach Eds Tod zu wahren. Es war falsch, dass Marma jedes Mal so verklemmt reagierte, wenn ihr verstorbener Schwiegersohn erwähnt wurde.
Doch hier, am Telefon, war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Irgendwann, an einem Abend, wenn sie und Marma nach ein paar Gläsern Wein zusammensaßen, würde sie das Thema zur Sprache bringen und sagen, dass das nun alles Vergangenheit war. Sie würde ihrer Mutter versichern, dass sie ihr Verhalten verstehen würde, auch wenn es nicht stimmte, und sie würde ihre Hand nehmen und ihr sagen, dass sie sie liebte. Aber nicht jetzt, nicht am Telefon.
Also sagte sie stattdessen, als hätte sie nichts gemerkt: »Marma, was machst du Weihnachten?«
»Oh, Weihnachten«, sagte Marma und klang sofort glücklicher. »Darüber wollte ich mit dir reden. Christopher kommt mit seiner Familie her, und vielleicht auch Hilda. Kommst du auch?«
»Diesmal nicht. Tony hat vorgeschlagen, dass ich in Bath feiere. Jacob wird zurück sein, und er will uns beide sehen.«
»Natürlich«, sagte Marma warmherzig. »Ich muss sagen, du und Tony seid ein sehr zivilisiertes Expaar. Aber ich wusste immer, dass Tony ein sehr zivilisierter Mann ist.«
»Das stimmt«, sagte Alberta. Noch ein Thema, über das sie im Moment lieber nicht sprechen wollte. »Ich muss Schluss machen. Mein Abendessen steht auf dem Herd.« Sie wurde wirklich immer besser im Lügen.
Nachdem sie aufgelegt hatte, ging sie zum Kühlschrank, entkorkte den Wein und schenkte sich ein großzügiges Glas ein.
Fünfzehn Minuten später saß sie mit dem Schreibblock vor sich am Tisch. Vierzig Minuten und sieben Entwürfe später las sie, was sie geschrieben hatte:
Lieber Daniel,
Ich möchte mich gern für meine schroffe Antwort auf deine nette Einladung zum Abendessen neulich entschuldigen. Ich war ziemlich im Stress und habe mich schlecht ausgedrückt. Als ich sagte, ich sei nicht verzweifelt, meinte ich damit, dass ich nicht wegen meines fehlenden Soziallebens verzweifelt bin. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich erklären können, dass ich immer lange und hart arbeite und deswegen nur wenig Zeit für Verabredungen habe. Wenn du meine Worte anders interpretiert hast, tut es mir leid. Außerdem möchte ich mich dafür bedanken, dass du meine Chefin angerufen und ihr mein Verhalten Peter Repton gegenüber erklärt hast. Ich verstehe zwar nicht ganz, warum du meiner Chefin von Peter Reptons Affäre mit meiner Mutter erzählen musstest und dazu noch die Sache mit den schmutzigen Details – ich fühlte mich so oder so im Recht, als ich Repton mit den Pavlovas beworfen habe –, aber ich nehme an, du hast es nur gut gemeint.
Herzliche
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