Überraschung kommt selten allein
»Emily hat ihn mir gezeigt.«
»Ich nehme an, sie hat dir auch von meinem Anruf erzählt.« Sie sah, wie sein Blick flackernd abschweifte und schluckte schwer. »Du warst neulich Abend dabei, oder? Du hast neben ihr gestanden, als ich sie angerufen und meinen hysterischen Anfall bekommen habe. Was haben die anderen gesagt? Warst du auch der Meinung, dass die arme, alte Hannah jetzt total durchgedreht ist?«
»Nein, war ich nicht. Emily hat ihren Freund, diesen Journalisten, angerufen und ihm erklärt, dass sie ihn nie mehr wiedersehen will. Und anschließend haben wir uns eine gute halbe Stunde darüber ausgelassen, was für eine miese Type der Kerl ist.«
»Oh«, sagte Hannah. »Ich muss Emily anrufen. Ich glaube, ich habe mich ihr gegenüber schrecklich benommen.« Sie faltete fest die Hände vor sich. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich bei dem Anruf auch von dir gesprochen.«
»Ja«, sagte Harrison. »Deswegen wollte ich mich auch mit dir treffen.«
»Harrison«, sagte Hannah drängend. »Wenn du dich aus Mitleid mit mir triffst, dann wäre es mir wirklich lieber, du würdest jetzt gehen.«
Harrison rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Es ist kein Mitleid …«
»Was ist es dann?«, hakte Hannah nach. »Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe! Warum können wir keine Freunde mehr sein? Was ist schiefgelaufen?«
»Das ist schwierig«, sagte Harrison.
»Es ist nur schwierig, weil du es schwierig machst .« Hannah stützte die Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich vor. »Ich habe die ganze Zeit versucht zu kapieren, warum du mich nicht mehr magst, und ich verstehe es einfach nicht … Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass du schwul bist, und wenn …«
»Du glaubst, ich bin schwul?« Harrison schien echt verwirrt zu sein. »Warum glaubst du, dass ich schwul bin?«
»Na ja, eigentlich glaube ich es gar nicht«, sagte Hannah ein wenig unsicher, »aber du hast zu Kitty gesagt, es gibt etwas, das du mir noch nie erzählt hast, und etwas anderes ist mir nicht eingefallen.«
»Hannah«, sagte Harrison, »für einen intelligenten Menschen bist du bemerkenswert schwer von Begriff.«
»Ich weiß«, sagte Hannah demütig. »Ich habe andere Menschen noch nie gut verstanden. Aber ich hasse es, wenn ich dich nicht verstehe.«
»Da gibt es nicht viel zu verstehen«, sagte Harrison. »Eigentlich ist es sogar ziemlich einfach. Ich habe nicht aufgehört, dein Freund zu sein, weil ich dich nicht mehr mag. Ich muss aufhören, dein Freund zu sein, weil ich dich zu sehr mag.«
Hannah legte eine Hand an die Stirn und sah Harrison intensiv an, ehe sie frustriert den Kopf schüttelte. »Ich verstehe nicht«, sagte sie.
»Als ich dich das erste Mal gesehen habe«, sagte Harrison, »habe ich mich sofort in dich verliebt.«
»Aber …« Hannah brach ab, und dann merkte sie, dass sie keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte.
»Um genau zu sein«, fuhr Harrison fort, »ich bin immer noch in dich verliebt.«
»Aber …«, wiederholte Hannah und versuchte, sich zu räuspern.
Seine Mundwinkel zuckten belustigt. »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
»Nein, ich bin nur … Es ist … Harrison«, flüsterte sie, »warum hast du mir das nicht gesagt ?«
»Ich hatte nie die Gelegenheit«, antwortete er. »Als ich dich das zweite Mal gesehen habe, kamst du in mein Zimmer gehüpft, um mir von dem Gott namens Russell zu erzählen, und kaum war mit ihm Schluss, hast du dich in den langen Ludovic verliebt. Ein Grund, weshalb ich nach der Uni für eine Weile ins Ausland gegangen bin, war, dass ich über dich hinwegkommen wollte. Als das nicht funktioniert hat, habe ich beschlossen, dass ich aufhören muss, dich zu sehen. Es tut mir leid, dass ich nach dem Essen bei dir weggelaufen bin. Ich bin ein bisschen durchgedreht.«
»Ich hatte keine Ahnung«, sagte Hannah.
»Das merkt man.«
Hannah setzte sich aufrecht hin. »Hör zu«, sagte sie. »Ich muss dir etwas sagen. Ich mag ja dumm sein, aber ich habe sehr wohl kapiert, dass es hundertmal schlimmer für mich war, dich zu verlieren als Alfie. Es war schrecklich, als ich gemerkt habe, dass du mich nicht mehr magst. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du mich nicht sehen willst. Der Punkt ist, Harrison …« Sie sah ihn erwartungsvoll an, dann lächelte sie. »Wer ist jetzt schwer von Begriff?« Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn auf den Mund.
Sie küsste ihn immer noch, als sie eine unangenehm vertraute Stimme hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher