Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
Villa.
Tante Lizzy begegnete mir bereits auf dem Flur. Sie hatte ein Tablett mit Tee und Gebäck in den Händen, während aus der Bibliothek sich zwei Männerstimmen ziemlich lautstark unterhielten.
"Hallo, Patti!"
"Was ist denn hier los?", fragte ich etwas erstaunt.
"Oh, Mr. Conroy und Mr. Conroy junior vom Antiquitätengeschäft Cornoy & Son Ltd. in der Riddleton Street glauben, das Problem mit meinem Schreibtisch lösen zu können... Du erinnerst dich sicher!"
Natürlich war mir klar, worum es ging. Tante Lizzy hatte vor einiger Zeit einen antiken Schreibtisch mit eigenartigen Schnitzereien und verworrener Herkunft erworben. Angeblich enthielt er ein Geheimfach, das Tante Lizzy verzweifelt zu finden versuchte.
Die Conroys waren nicht die ersten Spezialisten, die ihre Fähigkeiten mit den Geheimfachkonstrukteuren des 17.Jahrhunderts zu messen versuchten. Bislang hatten alle, die es versucht hatten, dabei eine Niederlage einstecken müssen.
"Einen Moment", sagte Tante Lizzy und brachte den Tee in die Bibliothek.
Ich ahnte nicht, welche Bedeutung der Inhalt dieses Faches schon bald für mich haben würde und in welchem Zusammenhang er mit schauerlichen Eis-Zombies stand, die das Grauen nach London brachten...
Doch das ist eine andere Geschichte.
Tante Lizzy kam zurück. Sie hielt einen vergilbten Band in den Händen. "Hier, ich habe etwas gefunden, das dich interessieren wird, Patti. Du hast von deiner Begegnung mit Ashton Taylor erzählt..."
Jede Einzelheit hatte ich ihr berichtet, insbesondere was die Verwandlung nach seinem Tod betraf...
"Ich glaube nicht, dass es wirklich Ashton Taylor war, dem ich auf Chateau Guraneaux begegnet bin", erklärte ich. "Es ist nur ein Gefühl..."
"Eine Ahnung?"
Ich zuckte die Schultern. "Vielleicht will ich auch einfach nur nicht wahrhaben, dass sich ein Mensch, der mir einst sehr nahestand, ein willenloser Sklave Cayamus geworden ist."
"Ich glaube, du hast recht", sagte sie. "Es war wirklich nicht Ashton Taylor... Ich bin in den Schriften von Sir Charles Grayer auf eine Stelle gestoßen, in der dieser sich auf die Überlieferungen der Talketuan-Kultur in Mittelamerika bezieht. Es ist da von Wesen die Rede, deren Beschreibung genau auf das zutrifft, was du mir berichtet hast... Sieh dir diese Fotografie eines Steinreliefs an..."
Tante Lizzy gab mir das Buch. Ich warf einen Blick auf das Foto und fröstelte. Das Wesen, das die Talketuan-Steinmetze dargestellt hatten, hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit jenem, reptilienhaften Geschöpf, in das Ashton sich verwandelt hatte.
"Den Überlieferungen nach sind es Gestaltwandler, die aus Cayamus Welt stammen...", sagte Tante Lizzy.
In diesem Moment kam einer der beiden Conroys aus der Bibliothek. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, aber auf seinem Gesicht stand ein zufriedenes Lächeln.
"Kommen Sie mal, Mrs. Vanhelsing! Ich glaube, wir sind jetzt ganz nahe dran!"
Das ließ Tante Lizzy sich nicht zweimal sagen.
In ihren wachen Augen leuchtete es erwartungsfroh...
ENDE
Kaltes Grauen
Nacht über London...
Eine schwarze Katze jaulte angstvoll auf, als das dumpfe Grollen unter der Erde ertönte.
Tief, sehr tief unter der engen Cumberland Street war etwas...
Die Katze verschwand zwischen den überquellenden Mülltonnen. Scheppernd fiel eine von ihnen um.
Sekundenbruchteile später zog sich ein Riss durch den Asphalt der schmalen Seitenstraße, verzweigte sich wie das Delta eines Flusses. Ein ächzender Laut durchschnitt die Nacht und übertönte sogar die Geräusche der nahen Hauptstraße.
Die Straßendecke brach auf. Faustgroße Brocken wurden meterhoch emporgeschleudert. Manche von ihnen knallten auf das Blech parkender Wagen.
Eine totenbleiche Hand streckte sich aus der Öffnung im Asphalt heraus.
Sie war von einer dünnen Schicht aus grauweißem Eis überzogen.
Das Krächzen wurde lauter, mischte sich mit einem hörbaren Atemgeräusch. Etwas versuchte an die Oberfläche zu gelangen. Kalter, weißer Nebel drang jetzt aus dem Loch ins Freie. Tischgroße Stücke wurden aus der Betondecke herausgebrochen. Mit einem Zischen quoll weiterer Nebel aus der Tiefe empor.
Mit geradezu gespenstischer Leichtigkeit schob die Gestalt die zentnerschweren Betonbrocken zur Seite und stieg an die Oberfläche.
Die Gestalt hatte ein graues, verwestes Totengesicht. Sie sah aus wie eine gefrorene Leiche.
Ein Zombie aus schmutzigem Eis und den Überresten eines Toten.
Die Augenhöhlen waren leer.
Seine
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