Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
hartgefrorene Kleidung bestand aus einem fleckigen Totenhemd.
Der Zombie bewegte sich mit steifen Bewegungen vorwärts.
Kalter Atem dampfte aus seinem Mund heraus.
Eine grausige Leichenpuppe, die unendlich lange Zeit in einer Mischung aus Schlamm und Eis gelegen haben musste.
Wie eine an unsichtbaren Fäden gezogene Marionette bewegte sich das Wesen vorwärts in die Straßenmitte.
Ein Wagen bog um die Ecke.
Die Scheinwerfer beleuchteten jedes furchtbare Detail des Zombies. Der Fahrer trat mit aller Gewalt auf die Bremse. Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen.
Eine Fontäne aus weißem, eiskaltem Nebel schoss aus dem Mund der unheimlichen Kreatur heraus und traf auf die Windschutzscheibe. Innerhalb eines einzigen Augenaufschlags war diese von einer dicken Eisschicht bedeckt. Der Wagen setzte zurück. Der Fahrer musste von grenzenlosem Entsetzen erfasst worden sein. Er fuhr gegen ein parkendes Fahrzeug.
Bevor er wieder nach vorne setzen konnte, hatte der Zombie die Fahrertür erreicht.
Sein augenloses Gesicht drehte sich etwas.
Der Mund öffnete sich halb.
Die bleiche, knochenmagere Totenhand schnellte vor und prallte gegen die Scheibe der Beifahrertür. Das Glas splitterte. Blitzschnell schloss sich die kalte Hand des Eis-Zombies um den Hals des Fahrers. Ein schauerlicher Todesschrei gellte durch die Cumberland Street. Ein Schrei voller namenlosem Entsetzen.
Im gleichen Moment schoss erneut eine Fontäne aus eiskaltem Atem aus dem Mund der Kreatur. Der Schrei erstarb.
Kraft..., durchzuckte es die Kreatur. Mehr Kraft...
Energie... Leben...
Mehr Leben...
Nach all der Zeit des Todes und des Vergessens!
*
Tante Lizzys Augen leuchteten freudig erregt, als wir die Bibliothek ihrer verwinkelten Villa betraten. Die Wände waren von überquellenden Bücherregalen bedeckt, in denen sich dickleibige, ledergebundene Folianten aneinanderreihten.
In der ganzen Villa sah es so aus - abgesehen von der Etage, die ich bewohnte.
Tante Lizzy verfügte über einer der umfangreichsten Sammlungen von Schriften, die sich mit dem Übersinnlichen befassten. Dieses Archiv sprengte längst den räumlichen Rahmen, den das altehrwürdige, noch aus viktorianischer Zeit stammende Gebäude setzte. Doch das hinderte meine Großtante Elizabeth Vanhelsing - für mich Tante Lizzy - keineswegs daran, ihrer Sammel- und Forscherleidenschaft im Bereich des Okkulten freien Lauf zu lassen.
Zwei Männer standen rechts und links eines eigenartigen Schreibtisches, der in einer Ecke der Bibliothek untergebracht war. An allen vier Ecken befanden sich geschnitzte Köpfe von Fabelwesen, die halb Tier, halb Mensch waren.
Diese geisterhaften Gesichter mit ihren weit aufgerissenen, zahnbewehrten Mäulern gaben dem vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammenden Möbelstück eine seltsame Aura.
Angeblich hatte dieser Tisch einst dem Geisterseher Guy de Traliere gehört, war danach aber durch Dutzende von Händen gegangen. Tante Lizzys Nachforschungen zu Folge musste es in dieser Antiquität noch ein bislang unentdecktes Geheimfach geben, über dessen Inhalt sich nur spekulieren ließ.
Mindestens ein Dutzend Fachleute hatte Tante Lizzy bisher ins Rennen geschickt, um sich mit den Geheimfachkonstrukteuren des 18. Jahrhunderts zu messen.
Bislang vergeblich.
Die beiden Männer sahen Tante Lizzy mit triumphierenden Gesichtern an.
Sie hießen beide Conroy und waren die Besitzer des Antiquitätengeschäftes Conroy & Son Ltd. aus der Londoner Riddleton Street. Vater und Sohn waren ausgewiesene Experten ihres Fachs und wie es schien, war ihnen tatsächlich das nahezu Unmögliche gelungen...
"Mrs. Vanhelsing, sehen Sie bitte her!", sagte Mr. Conroy senior mit beinahe feierlichem Tonfall. Beide Conroys teilten offenbar die Liebe zu alten Dingen mit meiner Großtante. Die Art und Weise, in der die beiden Männer das kostbare Möbelstück behandelten, sprach Bände darüber.
"Sie haben das Geheimfach gefunden?", fragte Tante Lizzy mit bebender Stimme.
"...und den Mechanismus enträtselt", erklärte Conroy senior nicht ohne Stolz in der Stimme.
Sie sah mich kurz an. "Oh, Patricia! Wie lange habe ich darauf gewartet!"
Mr. Conroy junior zog eine der Schubladen heraus.
Sie war leer.
"Sehen Sie gut zu, Mrs. Vanhelsing!", sagte Conroy mit bedeutungsschwerer Stimme.
Er steckte einem der tierhaften Holzgesichtern den Zeigefinger tief in den Rachen. Gleichzeitig zog er die Schublade erneut heraus.
Tante Lizzy und ich sahen mit atemloser
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