Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
Materie, um mit einiger Sicherheit sagen zu können, dass Hermann von Schlichten der Verfasser der Notizen in diesem Buch sein muss..."
Die erste Seite gab immerhin einen Hinweis in diese Richtung.
Dort waren die Initialen H.v.S. eingeprägt.
"Ist es denn möglich, dass dieser Schreibtisch früher einmal im Besitz von Schlichtens gewesen ist?", erkundigte ich mich.
Tante Lizzy zuckte die Achseln.
"Das muss nicht unbedingt sein", gab sie zurück. "Ein späterer Besitzer des Tische könnte unabhängig davon dieses Notizbuch erworben und hier versteckt haben. Die Erben hatten dann keine Ahnung von dem Geheimfach und seinem brisanten Inhalt..."
Tante Lizzy blätterte in den Notizen herum.
Dann seufzte sie.
"Was ist?", fragte ich die alte Dame, die mir seit meinem zwölften Lebensjahr wie eine Mutter gewesen war.
"Was würde ich jetzt darum geben mittelalterliches Latein zu beherrschen - oder wenigstens etwas mehr Deutsch, als ich in der Schule gelernt habe! So werde ich auf die Entschlüsselung dieser Zeilen noch etwas warten müssen... Vielleicht verbirgt sich eine Sensation darin..." Tante Lizzy sah mich an.
"An was für eine Art von Sensation hast du denn gedacht?", fragte ich.
"Naja, nicht an die Art, mit der du in deinem Job bei den LONDON EXPRESS NEWS zu tun hast!", lächelte sie. "Obwohl du ja dafür sorgst, dass ab und zu auch mal etwas über Ereignisse aus dem Bereich des Okkultismus und des Übersinnlichen berichtet wird..."
"Aber für den zweiten Band der ABSONDERLICHEN KULTE ist das da etwas zu dünn!", meinte ich und deutete dabei auf das Notizbuch.
An Tante Lizzys Gesichtsausdruck sah ich, dass ich ihren geheimen Wunsch genau getroffen hatte - auch wenn sie es nie offen zugegeben hätte.
"Da hast du leider recht", gab sie zu. "Trotzdem, auf jeder dieser vergilbten Seiten kann ein wertvoller Hinweis verborgen sein, der uns vielleicht ganz neue Einsichten in von Schlichtens Werk gibt!"
"Unter den ehemaligen Kollegen von Onkel Frederik werden sicher einige Experten sein, die dir bereitwillig weiterhelfen", war ich überzeugt. Frederik Vanhelsing war von einer archäologischen Forschungsreise in den südamerikanischen Regenwald nicht zurückgekehrt. Seitdem war er verschollen. Aber zu vielen seiner Kollegen hatte Tante Lizzy nach wie vor guten Kontakt. Und das nutzte sie hin und wieder für ihre Forschungen aus.
*
Tante Lizzy war seit der Entdeckung des Notizbuches von geradezu unbändiger Energie erfüllt. Vermutlich würde sie mehr oder minder die ganze Nacht damit zubringen, in alten Folianten und magischen Schriften von obskurer Herkunft zu stöbern, um dem Geheimnis dieses Buches zumindest Ansatzweise auf die Spur zu kommen.
Außerdem war da natürlich der äußerst umfangreiche Briefverkehr des Okkultisten, der angesichts dieses Fundes eingehend studiert werden musste.
Ich half Tante Lizzy zunächst so gut ich konnte. Erstens war das Übersinnliche ja auch mein eigenes Spezialgebiet und alles, was mit Hermann von Schlichtens Notizen zusammenhing interessierte mich brennend. Und zweitens hatte Tante Lizzy mir umgekehrt sehr oft bei meinen Recherchen geholfen.
Schließlich war ihr Archiv geradezu unerschöpflich.
Irgendwann jedoch wurde es mir einfach zu spät.
Schließlich musste ich am Morgen wieder im Redaktionsbüro der LONDON EXPRESS NEWS meine Frau stehen. Und müde Reporterinnen konnte unser mitunter recht grantiger Chefredakteur Michael T. Swann einfach nicht ausstehen...
"Du bist mir nicht böse, aber ich brauche ein Minimum an Schlaf", sagte ich daher zu Tante Lizzy.
"Natürlich, Kind. Geh nur ins Bett. Ich mache auch gleich Schluss..."
Ich wusste im Voraus, dass sie das nicht tun würde.
Ihre Lesebrille war ihr von der Nasenwurzel heruntergerutscht. Sie starrte fasziniert auf einen der von Schlichten-Briefe, griff aus dem immer weiter ausufernden Chaos in der Bibliothek gezielt ein anderes Schriftstück heraus und verglich beide. Ihre Stirn legte sich in Falten.
"Gute Nacht, Tante Lizzy..."
Ein Ruck ging durch ihren Körper.
Sie blickte auf.
Ein verhaltenes Lächeln umspielte ihre zuvor so angestrengt wirkenden Züge.
"Gute Nacht, Kind", sagte sie.
Kind - so nannte sie mich noch immer, trotz meiner 27 Jahre. Aber für sie würde ich wohl immer ihr Kind bleiben.
Ich verließ die Bibliothek, trat in den halbdunklen Flur.
Auch dessen Wände waren von Bücherregalen bedeckt. Hin und wieder wurden die langen Reihen der staubigen Folianten durch archäologische
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