Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
sie es früher immer getan hatte, als ich noch kleines Mädchen gewesen war.
Einige Augenblicke standen wir so da, dann sagte ich schließlich: "Lass uns nach unten gehen, Tante Lizzy... Ich glaube nicht, dass ich in dieser Nacht noch ein Auge zudrücken werde!"
Unten in der Bibliothek erzählte ich Tante Lizzy dann von dem, was mir widerfahren war.
Tante Lizzy hörte nachdenklich zu, während ich mit stockender Stimme nach den richtigen Worten suchte.
"Diese Kreatur hatte gewaltige übersinnliche Kräfte", erklärte ich. "Ich konnte sie deutlich wahrnehmen..."
Ich atmete tief durch.
Tante Lizzy sagte indessen mit bedauerndem Tonfall: "Ich fürchte, so einfach kann ich dir jetzt auch nicht weiterhelfen. Vielleicht hast du ein Bild aus der Zukunft oder von einem weit entfernten Ort gesehen. Etwas, das in irgendeiner Weise mit deinem Schicksal zusammenhängt. Genauso gut könnte es sein, dass diese Vision auf symbolischer Ebene zu verstehen ist und erst entschlüsselt werden muss...."
"Nein", sagte ich - ohne zu überlegen.
Tante Lizzy hob erstaunt die Augenbrauen.
"So sicher?"
"Ja", sagte ich. "Ich bin selbst überrascht darüber. Aber ich weiß, dass es diese Kreatur gibt, die ich gesehen habe. Jetzt, in diesem Moment, irgendwo... Ein Wesen, das einen entsetzlichen Hunger hat..."
"Hunger?", echote Tante Lizzy.
"Hunger nach der Energie der Lebenden. Ich glaube, das war auch der Grund dafür, dass das Wesen mich angriff." Ich begann allein bei dem Gedanken daran schon zu zittern. Ein Frösteln überkam mich, obwohl in der Bibliothek eigentlich sehr warm war. Aber diese Kälte kam von innen. Sie erfüllte jeden Winkel meiner Seele, sobald ich auch nur eine Sekunde lang an diese grauenvolle Erscheinung dachte. "Dieses Wesen lebt", murmelte ich. "Es existiert und ich glaube, dass ich ihm irgendwann in nächster Zeit begegnen werde."
"Ich kann nur hoffen, dass du dich irrst..."
Wie zufällig streifte mein Blick den Schreibtisch, dessen Geheimfach die Conroys am Abend endlich gefunden hatten.
Für Sekundenbruchteile stand ein sehr deutliches Bild vor meinen Augen, dessen Intensität ich mich nicht entziehen konnte.
Ich sah den Eis-Zombie, sah seine leeren Augenhöhlen und das graue, schmutzige Eis, das seinen toten Körper wie einen Panzer überzog und glücklicherweise den Anblick des verwesenden Fleisches etwas milderte.
Der Zombie hob die Hand mit einer ruckartigen Bewegung.
Seine knochendürren Finger hielten zitternd...
Ein Buch!
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag vor den Kopf. Ich war wie konsterniert.
"Das Notizbuch Hermann von Schlichtens...", murmelte ich halblaut vor mich hin.
"Wie bitte?", fragte Tante Lizzy.
Das Bild verschwand.
Ich wandte den Kopf zu Tante Lizzy herum.
"Dieses Notizbuch, das die Conroys aus deinem antiken Schreibtisch herausgeholt haben! Es hat etwas mit dem zu tun, was ich gesehen habe, Tante Lizzy."
"Bist du dir sicher?" Tiefe, sehr sorgenvolle Furchen erschienen auf Tante Lizzys Gesicht.
Ich nickte.
"Ganz sicher", murmelte ich. "Ich weiß es einfach... Und du weißt, dass ich mich auf meine Ahnungen immer gut verlassen konnte."
*
Ich weiß nicht genau, wann es geschah, aber schließlich schlief ich in dem großen Ohrensessel in Tante Lizzys Bibliothek ein. Als ich am Morgen erwachte, bemerkte ich, dass Tante Lizzy mir eine Wolldecke übergeworfen hatte.
Meine Großtante war bereits wach, vielleicht hatte sie auch gar nicht geschlafen.
"Ich habe etwas in meinem Archiv gestöbert, ob es irgendwann Erscheinungen wie jene gegeben hat, von der du mir berichtet hast", erklärte sie mir beim Frühstück. "Allerdings bin ich nicht sehr weit gekommen, wie du dir denken kannst..."
"Ach, Tante Lizzy, ich wollte dich nicht beunruhigen..."
"Aber du bist beunruhigt, Patti", unterbrach sie mich. "Und das allein schon ist für mich Grund genug, mir Sorgen zu machen."
Ich lächelte matt und nahm einen Schluck vorzüglichen Tees, den Tante Lizzy zubereitet hatte.
Etwas später fuhr ich mit meinem kirschroten Mercedes 190 in die Lupus Street zum Verlagsgebäude der LONDON EXPRESS NEWS.
Ich stellte den Wagen auf dem vorgelagerten Parkplatz ab, stieg aus und ging schnellen Schrittes in Richtung Haupteingang.
Einige Minuten später erreichte ich das Großraumbüro, in dem unsere Redaktion untergebracht war. Hier herrschte ständiges Kommen und Gehen zwischen den Schreibtischen der einzelnen Mitarbeiter.
Lediglich unser Chef Michael T. Swann hatte ein Büro für
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