Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
geheimnisvollen, übernatürlichen Wesen, die dort hausten.
"Man soll die Geister nicht stören", meinte der Kellner in gebrochenem Französisch. "Besser, man fährt im Moment nicht den Stoeng Sen hinauf!"
Gegen Mittag fanden wir schließlich doch noch jemanden, der bereit war, uns flussaufwärts zu bringen. Der Mann hieß Sun und war Chinese. Er teilte den Geisterglauben der Khmer nicht. Sein Boot hieß DRAGON CHINOISE ('Chinesischer Drachen') und war für hiesige Verhältnisse schon recht groß. Es hatte sogar eine kleine Kajüte. Ich hoffte nur, dass die Benzinvorräte ausreichten, um uns ans Ziel zu bringen. Sun war ein kleiner, gedrungener Mann mit blauschwarzem Haar und undurchdringlichen Gesichtszügen. Er legte Wert darauf, zu einem Viertel Franzose zu sein, da sein Großvater ein französischer Kolonialoffizier gewesen sei. Normalerweise nahm er keine Passagiere mit, sondern beförderte Handelsgüter. Aber die Bezahlung überzeugte ihn. Wir überließen ihm den Jeep, den ein in Kampong Thum ansässiger Verwandter für ihn verkaufen würde.
Das wog eine Handelsfahrt allemal auf.
Sun hatte gute Laune, als wir aufbrauchen.
Seine beiden kambodschanischen Angestellten hingegen wirkten alles andere als begeistert.
Sun verlachte sie als abergläubische Narren. Er jedenfalls würde sich wegen ein paar grausiger Erzählungen von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt ein gutes Geschäft nicht vermasseln lassen.
"Und wenn uns doch jemand in die Quere kommen sollte, habe ich das hier!", meinte er dann an uns gewandt und holte eine geladene Kalaschnikow aus der Kajüte. "So etwas braucht man hier...Schon wegen der Banditen!"
*
Die heißen Tage vergingen einer wie der andere, während sich sich die DRAGON CHINOISE den Stoeng Sen hinaufquälte. Die feuchte Hitze und die Moskitos setzten uns zu. Tag und Nacht umgaben uns die geheimnisvollen Geräusche des Urwaldes. Das undurchdringliche Grün wimmelte nur so von Leben. Unheimliche Schreie, das Schlagen großer Vogelschwingen und das Rascheln von Blättern mischten sich zu einem eigentümlichen Klangteppich.
Tom besprach mit Sun den Weg.
Sun zeigte ihm seine Karten. Manche von ihnen waren fast dreißig Jahre alt und stammten aus amerikanischen Armeebeständen.
"So, nach Pa Tam Ran wollen Sie, Mister", meinte Sun gedehnt in seinem akzentschweren Englisch. "Wenn Sie mir das zu Anfang unserer Reise gesagt hätten, hätte ich Sie nicht mitgenommen..."
"Und warum nicht?", fragte Tom.
"Weil ich Sie dann für einen Verrückten gehalten hätte."
"Ach!"
"Pa Tam Ran ist ein Ort, den es nur in Erzählungen und Sagen gibt, die die Khmer sich erzählen", meinte Sun. Ein verächtlicher Unterton schlich sich in seine Worte hinein. Insgeheim glaubte er sich den Kambodschanern überlegen.
"Das habe ich auch geglaubt", erwiderte Tom lächelnd. "Bevor ich dort war..."
Sun ließ sich nichts anmerken.
"Wann soll das gewesen sein?"
"Vor ein paar Jahren."
"Nun, ich werde Sie flussaufwärts fahren wie abgemacht. Was Sie dort oben im Dschungel suchen, ist Ihre Sache!" Während Sun das mit selbstsicherer Miene sagte, beobachtete ich die beiden Kambodschaner. Einer von ihnen bediente das Steuer, der andere befand sich im Bug der DRAGON CHINOISE und blickte aufmerksam in den dichten Dschungel.
Die beiden hatten Angst, das spürte ich ganz deutlich. Und vielleicht lag ihre Intuition gar nicht so falsch... Vier, fünf Tage lang ging es immer weiter den Stoeng Sen hinauf.
Zwischendurch legten wir in einigen kleineren Ortschaften an, die am Flussufer lagen. Wir hörten haarsträubende Geschichten von unheimlichen Monstren, die im Dschungel am Oberlauf ihr Unwesen trieben. Einmal erlebten wir, wie die Bewohner einer Ortschaft sogar einen kostbaren Zebu geopfert hatten, um die 'Dämonen', wie sie das Grauen aus dem Dschungel nannten, wieder zu besänftigen... Wir versuchten, Näheres über die Ursache dieser Angst herauszufinden. Aber alles, was wir fanden, waren Gerüchte und Andeutungen. Und Warnungen...
Die Kambodschaner sahen uns an wie Todgeweihte. Dann erreichten wir das Dorf Kampong Prek. Von dort aus war Tom vor ein paar Jahren zu Fuß weitergelaufen, um den Tempel von Pa Tam Ran zu erreichen.
Eine unheimliche Stille lag über dem Ort.
Keine Schar lauter Kinder strebte uns entgegen, als die DRAGON CHINOISE sich den Anlegestellen näherte. Wir legten an, gingen an Land.
Die Fischerboote waren an Land gezogen, so als ob sie schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr benutzt
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