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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Carpenter , Britta Strauss , Kerstin Dirks , Helene Henke , Tanya Carpenter
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ohne Mariposa loszulassen, und hielt Ausschau nach dem Zug. Der Amtrak war immer pünktlich, er musste jeden Moment auftauchen. Dann blickte sie hinunter in das blutverschmierte Gesicht, das ihr eigenes war. Die Augen waren weit aufgerissen, die Lippen bewegten sich unablässig.
    „Bitte“, flüsterte die Frau. „Bitte nicht. Bitte …“ Mariposa schrie nicht länger, sie schluchzte. Heftige Krämpfe erschütterten ihren Körper, sie bebte wie ein Kind. Ein unschuldiges Kind, so zerbrechlich. Jemand, den sie beschützen musste. Nicht schlagen, beschützen.
    „Bitte“, flüsterte die Frau mit ihrem Gesicht.
    Sie schüttelte den Kopf. Das war falsch. Ganz falsch. Plötzlich erkannte sie, dass der Gedanke nicht ihr eigener war.
    Nicht töten. Beschützen. Ich muss sie beschützen.
    Sie fand ihn wie einen Strang falschfarbigen Garns in den Tiefen ihres Geistes. Das war nicht ihr Gedanke. Er ergab keinen Sinn. Sie hatte nicht vorgehabt, diesen Körper zu töten.
    Plötzlich war es ganz klar. Sie drehte den Kopf und erfasste die Lichter, die rasend schnell größer wurden. Sie konzentrierte sich und packte Mariposas Geist, während er in ihrem Bewusstsein wühlte. Sie verkrallte sich in dem fremden Gedanken und zog mit brutaler Kraft. Ein Riss klaffte auf. Eine Welle von Schock lief über das weiche Gesicht. Und dann, mit dem letzten Rest verbliebener Kraft, stieß sie sie von sich und ließ sich fallen.
    Ihr Körper fiel, doch der Geist hielt sich fest, und dann, als sie noch mehr Druck ausübte, musste der andere weichen.
    „Geh!“, schrie sie mit heiserer Kehle. „Geh endlich!“
    Der Zug raste mit ohrenbetäubendem Lärm heran, der Leib des Monsters stürzte. Die Bremsen kreischten auf, und Eve wusste, dass sie es geschafft hatte.
    Der Tausch war vollzogen. Das Monster lag zerschmettert auf den Schienen. Und ihr Bewusstsein driftete davon.

    Alan fand sie auf der Brücke, brachte sie nach Hause und versorgte die Prellungen und die Schnittwunden in ihrem Gesicht. Mariposa war fort. Eve hoffte, dass die eisernen Räder des Amtrak sie zermalmt hatten, doch Alan war sich dessen nicht so sicher.
    „Es gibt keine Morde mehr“, sagte sie zwei Tage später.
    „Vielleicht hat sie das Revier gewechselt.“ Alan blieb dicht vor ihr stehen. Mit zwei Fingern strich er ihr über die Wange, eine Zärtlichkeit, die ihr einen Schauder über den Rücken trieb. „Es gab keine Morde mehr, seit wir aus diesem verdammten Labyrinth herausgefunden haben.“
    Sie blickte ihm in die Augen und wusste nicht, wie sie ihm erklären konnte, was geschehen war. Die Wochen in Mariposas Körper waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Immer häufiger fragte sie sich, wie Mariposa gewesen war, bevor sie sich in diese unaussprechliche Monstrosität verwandelt hatte.
    „Habe ich mich nach dem Labyrinth irgendwie anders benommen?“
    Ein Hauch Schmerz glitt über sein Gesicht, fast Verzweiflung. „Was ist da unten mit dir geschehen?“
    Etwas Schreckliches, dachte sie. Doch sie sprach es nicht aus. Es wollte nicht über ihre Lippen.
    Er beugte den Kopf, um sie zu küssen. Es war ein scheuer Kuss, unendlich zart, als fürchtete er, zurückgestoßen zu werden. Sie schmiegte ihre Lippen gegen die seinen und hielt ihn fest. Sehr lange stand er so. Seine Fingerspitzen in ihrem Nacken bebten.
    „Du bist wieder da“, flüsterte er. „Du selbst.“
    „Du weißt es?“
    Sein Mund glitt über ihre Wange, ihr Kinn hinab, er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. „Ich wusste, dass etwas anders war. Ich wusste es, aber ich war schrecklich unsicher, weil du darauf bestandest, dass alles gut sei. Es waren deine Augen, dein Mund, aber etwas stimmte nicht. Ich wollte …“ Abrupt ließ er sie los und wich zurück. In seinem Gesicht arbeitete es. Schuld, immer wieder Schuldgefühle.
    Sie wollte das nicht. Sie wollte nicht, dass er sich wegen ihr zerriss.
    „Ich wollte zurück in die Kanäle. Aber du …“
    „Ich habe dich angefleht, es nicht zu tun.“
    Er nickte.
    „Nicht“, murmelte sie. „Hör auf. Der Albtraum ist vorbei.“
    „Was soll ich tun?“ Hilflos sah er aus, wie er vor ihr stand. Sie musste beinahe lachen.
    „Du könntest mich küssen.“ Sie streckte beide Arme aus und berührte seine Hüften mit den Fingerspitzen. „Ich meine, richtig küssen.“
    Und während er sie an sich zog, fest diesmal und nicht so zart, als wäre sie aus Glas gemacht, während sein unbeschreiblich guter Duft sie einhüllte, Orangen und Leder, dachte sie

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