überSINNLICHE Nächte - überSINNLICHE Nächte - Wild Nights
und die anderen Frauen sangen. Die Worte waren so leise, dass Luc sie nicht verstand. Er blickte zu Anton hinüber. Er war neugierig, aber er wollte die Frauen auch nicht unterbrechen.
Anton stellte ein Bild auf den Altar. Luc erkannte ein weiteres Foto von Camille, das Tia mitgebracht hatte. Der Gesang wurde lauter. Anton nahm das Tablett mit dem Granatapfel, trat in den Kreis und setzte sich hin. Abrupt verstummte der Gesang.
Antons Stimme nahm diesen leisen, faszinierenden Klang an, der Luc noch sehr gut von ihrem letzten Besuch in Erinnerung war. »Ich möchte, dass ihr euch entspannt und die Wärme spürt, die den Kreis erfüllt. Die Nacht wird allmählich kalt, aber ihr werdet durch den Schutzschild weiter im Warmen sein.« Er reichte den Teller herum. Jeder nahm sich ein paar Granatapfelkerne. Anton stellte das Tablett zu Ulrichs Füßen ab.
Luc starrte auf die Kerne in seiner Hand. Im sterbenden Licht des Tages waren sie blutrot. Sie wirkten so unschuldig, und doch schien eine merkwürdige Kraft in ihnen zu wohnen.
»Probiert einen von den Kernen. Schließt die Augen und genießt den intensiven Geschmack. Das süße Aroma und den harten Kern in seiner weichen Hülle. Lasst ihn euch auf der Zunge zergehen. Seid euch des Geschmacks bewusst, spürt die Strukturen. Denn ihr lebt, und ihr seid Teil dieser weltlichen Ebene.«
Luc schmeckte das süße, scharfe Aroma. Seine Zunge fand den harten Kern. Obwohl es nur ein einfacher Vorgang war, hatte er doch eine besondere Bedeutung. Ja, es war etwas Besonderes, schmecken zu dürfen. Die Aromen kosten zu dürfen.
»Konzentriert euch auf den Geist von Camille Mason. Zieht sie mit euren Gedanken näher. Diejenigen unter euch, die sie persönlich kennen: meine Frau Keisha, die ihre Nichte ist. Tia Mason, ihr einziges Kind. Ulrich Mason, ihr Ehemann. Lucien Stone, der Mann, der ihr den Tod brachte.«
Bei dieser freimütigen Aufzählung verzog Luc das Gesicht. Tia streckte die Hand nach ihm aus und drückte seine. Ulrich drehte den Kopf zu ihm um und blickte ihn offen an. In seinem Blick lag keine Anschuldigung.
»Beendet das Mahl der Granatapfelkerne. Schmeckt sie. Konzentriert euch auf das Aroma, die Struktur. Die Süße und die Schärfe. Denkt an die wahre Bestimmung jedes Samens: Leben zu schenken.«
Luc versuchte, Antons Anweisung zu folgen. Er konzentrierte sich ganz auf die letzten Granatapfelkerne in seinem Mund. Aber er war sich auch zunehmend Tias Gegenwart bewusst und der wachsenden Anspannung im Kreis. Er spürte, wie etwas sich in der Luft zwischen ihnen aufbaute.
Antons leise Stimme brachte Luc wieder zurück. »Denkt an das Leben. Es gibt die Süße, aber es gibt eben auch das Scharfe, Bittere. Es gibt auf dieser Lebensreise Höhen und Tiefen, es gibt gute und schlechte Zeiten. Das Leben ist, was es ist. Was wir daraus machen. Nicht mehr, nicht weniger.«
Anton blickte in den Himmel. Er atmete tief und langsam ein. Dann atmete er aus und nahm zu seiner Rechten Tias Hand und Keishas zu seiner Linken. »Ich weiß, wie nahe du uns bist, Camille. Komm her und tritt in unseren Kreis. Wir bieten dir Sicherheit. Hoffentlich können wir dir auch einen Weg nach Hause bieten. Komm zu denen, die dich lieben. Zu denen, die dich noch immer in dieser irdischen Welt festhalten.«
Die Frauen begannen wieder mit dem Gesang. Aus dem Augenwinkel sah Luc die Kerzenflamme flackern. Tias Hand umschloss seine Linke, aber ihre Stimme blieb kräftig. Xandi hielt seine Rechte umfasst. Es blieb nur wenig Platz zwischen Lucs Knien und Ulrichs Stuhl. Aber etwas streifte seine Beine. Die Luft fühlte sich schwerer an, fast, als wäre sie reif. Als würde innerhalb des Kreises etwas wachsen.
Xandi schnappte nach Luft. Es war ein zischender Laut. Sie starrte auf einen Punkt zwischen sich und Ulrich. Sie drückte Lucs Hand. Tias Finger umklammerten Lucs Linke so sehr, dass es schmerzte. Eine Gestalt waberte zwischen ihnen. Zuerst war sie körperlos, doch dann schien sie sich langsam mit der Energie zu füllen, die im Kreis angewachsen war. Sie nahm eine Form an und gewann an Substanz.
Luc spürte, wie sein Herzschlag kurz aussetzte. Camille Mason stand direkt hinter ihrem Mann. Ihr schwarzes Haar umfloss ihre Schultern. Ihre Augen waren strahlend und lebhaft. Das weiße Kleid, das sie trug, passte zu den weißen Roben der anderen.
Camille blickte zuerst Anton an, der ihr ein erleichtertes Lächeln schenkte.
Sie wies auf ihren Mann. »Ich danke dir. Ich verspreche, ich werde
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