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Überwachtes Netz

Überwachtes Netz

Titel: Überwachtes Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Meister Markus Beckedahl
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‘Staatsgeheimnis’-Privileg durchgesetzt, das die richterliche Kontrolle erschwert. Und der Oberste Gerichtshof wies die mit dem vierten Verfassungs-Zusatzprotokoll begründete Anfechtung des FISA Amendments Acts zurück, die Amnesty International im Namen einiger Anwälte, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten eingereicht hatte. Denn die Kläger hätten nicht bewiesen, dass eine Schädigung durch Überwachung »mit Sicherheit bevorstehe« [219] . (Wir werden bald herausfinden, ob die US-Gerichte mehr Willen zum Handeln haben, wenn die konkreten Beweise für die Überwachung, die von Snowden veröffentlicht wurden, vorliegen).
    Im Gegensatz dazu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Klass u.a. gegen Deutschland [220] festgestellt, dass:
    »[E]ine Person kann, unter gewissen Voraussetzungen, geltend machen, dass sie durch das bloße Vorhandensein von geheimen Maßnahmen oder von Gesetzgebung, die diese Maßnahmen gestattet, Opfer einer Verletzung sein, ohne behaupten zu müssen, dass solche Maßnahmen tatsächlich gegen sie getroffen worden seien. Die erforderlichen Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Fall bestimmt werden, und zwar entsprechend dem Recht oder den Rechten der Konvention, deren Verletzung gerügt wird, dem geheimen Charakter der angegriffenen Maßnahmen und dem Zusammenhang zwischen dem Betroffenen und diesen Maßnahmen.«
    Dies ist einer der Hauptunterschiede zwischen dem geltenden Recht in den Vereinigten Staaten und in Europa, der zu einem besseren Schutz der Privatsphäre bei der Kommunikation im Internet führen dürfte. Ein zweiter Unterschied ist, dass Kommunikationsdaten und andere Auzeichnungen von »Dritten Personen« in den USA nicht unter dem Schutz des 4. Verfassungszusatzes stehen [221] , während der EGMR im Fall Malone v UK festgestellt hat, dass »die Aufzeichnungen der Telefongebührenzählung Informationen [enthalten], insbesondere die gewählten Nummern, die ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation über Telefon sind. Daraus folgt, dass die Weitergabe dieser Informationen an die Polizei ohne Zustimmung des Teilnehmers auch zu einer Beeinträchtigung mit einem in Artikel 8 garantierten Recht führt.« [222] .
    Zum Dritten vertritt der Straßburger Gerichtshof die Auffassung, dass nur die Nutzung, nicht aber die Sammlung von Daten einen potentiellen Eingriff in das Recht auf Privatsphäre darstellt, ausdrücklich zurückgewiesen. Leitende US-Regierungsbeamte haben sich bei der Verwendung von Wörtern wie »collection« (engl. »Sammlung«) immer weiter verstrickt, weil sie den Begriff nicht einfach gemäß seiner eigentlichen Bedeutung verstanden haben wollten, sondern als »absichtliche Abfrage oder Auswahl von identifizierten nicht-öffentlichen Kommunikationsvorgängen für die weitere Verarbeitung« (im Original: ‘intentional tasking or selection of identified non-public communications for subsequent processing’ [223] ). Im Fall S. and Marper v UK dagegen hat der EGMR wiederholt: »Die bloße Speicherung von Daten, die sich auf das Privatleben einer Person beziehen, stellt einen Eingriff i.S.v. Art. 8 EMRK dar.« [224] . Diese Definitionsfragen werden entscheidend sein, falls die US-Gerichte sich dafür entscheiden, sich mit den NSA-Überwachugsprogrammen auseinanderzusetzen (etwa durch die Klage des Electronic Privacy Information Center (EPIC) vom 8. Juli 2013 vor dem Obersten Gerichtshof).
    Daher kann man sagen, dass die USA zwar nicht als einziges Land von Telekom-Firmen Abfangmöglichkeiten im Netzwerk verlangt, aber die Nutzung dieser Möglichkeiten sich durch verfassungsgegebene Grenzen stark unterscheidet. Wie Judith Rauhofer in ihrer Antwort auf Archer et al. deutlich machte, wird die gerichtliche Durchsetzung dieser Grenzen wohl Zeit benötigen. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist bisher nicht davor zurückgeschreckt, sich mit der Geheimdienst-Materie zu beschäftigen. Im Fall Leander gg. Schweden kommentierte er, dass ‘ein geheimes Überwachungssystem für den Schutz der inneren Sicherheit das Risiko in sich trägt, durch den vorgeblichen Schutz der Demokratie diese zu unterminieren oder gar zu zerstören’ [225] . Gut möglich, dass die umfassende Internetüberwachung des Vereinigten Königreichs ebenso wie damals die britische DNA-Datenbank im Fall S. and Marper als ‘unverhältnismäßiger Eingriff’ in die Privatsphäre, der ‘in einer demokratischen Gesellschaft nicht als notwendig

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