Überwachtes Netz
Datenschutzes vor Augen zu führen. Im weiteren Verlauf insbesondere des letzten Jahrzehnts hat sich im Zuge einer Ökonomisierung von personenbezogenen Daten als Tauschmittel einer vermeintlichen Gratiskultur im Internet dann die Entwicklung hin zur Überwachungsgesellschaft ergeben. Die nunmehr dokumentierte Internationalsierung von Überwachungsaktivitäten durch Geheimdienste markiert einen weiteren Schritt und stellt eine massive Synthese dieser Entwicklungslinien dar: Über Programme wie Tempora, XKeyscore und PRISM wird der Zugriff auf den digitalen Datenstrom in Echtzeit mit dem Zugang auf die gesammelten Nutzerdaten der Internetdienste als den Hauptakteuren der Überwachungsgesellschaft verknüpft. Dies ist der großangelegte Versuch, die digitale Infrastruktur gegen den Nutzer zu kehren und möglichst alle Daten von Informations- und Kommunikationsprozessen unter ständige Überwachung zu bringen. Die digitale Kommunikation des Einzelnen ist seither mit dem Bewusstsein ständiger Überwachung notwendig verbunden. Statt freier Kommunikation entstehen ein permanenter Anpassungs- und Überwachungsdruck und ein diffuses Gefühl des Misstrauens. Das sind nicht die Rahmenbedingungen, die das Grundgesetz für die freie Entfaltung des Einzelnen fordert.
Müssen wir uns jetzt damit abfinden, dass die massenhafte Überwachung normal ist und sein muss, wie die Bundesregierung uns das erklären will?
Das wäre schlimm. Es wäre eine Kapitulation des Rechts- und Verfassungsstaats vor einer Sichtweise, die das technisch Machbare im vermeintlichen Kampf gegen den Terrorismus für legitim hält. Dieses kann sich auf Dauer für die Grundstruktur des Verfassungsstaats fatal auswirken. Wenn nur noch die Hoffnung der Bürger, der Staat werde im Kampf um die Sicherheit schon im Großen und Ganzen den Rahmen des rechtlich Zulässigen nicht überschreiten, uns von einem missbräuchlichen Einsatz dieser mächtigen Überwachungsinstrumente trennt, dann ist unsere Demokratie in Gefahr. Es gilt daher, Transparenz und Kontrolle gerade auch in diesem grundrechtssensiblen Bereich künftig herzustellen.
Gelten unsere Grundrechte nur auf » deutschem Boden « ?
Die Diskussion, insbesondere wie sie von Vertretern der Bundesregierung geführt wurde, suggeriert dies. Doch das ist nicht richtig. Das Grundrecht des Telekommunikationsgeheimnisses wie auch das der informationellen Selbstbestimmung bindet die deutsche Staatsgewalt. Die Grundrechte gelten dann auch im exterritorialen Bereich, etwa bei der strategischen Telekommunikationsüberwachung unmittelbar durch deutsche Dienste. Sie gelten insbesondere gegenüber Ausländern, die von diesen überwacht werden, denn es handelt sich hier nicht um Rechtsgarantien, die ausschließlich deutschen Staatsbürgern zustehen. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Auch hier sind rechtsstaatlich bestimmte Eingriffsnormen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip unter dem Kontrollmaßstab des Art. 10 Abs. 1 GG maßgebend.
Mittlerweile ist klar, dass auch BND und Verfassungsschutz mit NSA & Co. kooperieren, indem sie Daten und Software austauschen. Gibt es dafür rechtliche Bedenken?
Die umfassende strategische Telekommunikationsüberwachung im Ausland ohne unmittelbaren territorialen Bezug und der Austausch der daraus gewonnenen Daten zwischen den Geheimdiensten sind rechtsstaatlich problematisch. Es muss künftig sicher gestellt werden, dass nicht nach dem Muster vorgegangen werden kann: »Ich überwache deine Staatsbürger und du meine, und dann tauschen wir unsere Daten«.
Brauchen wir eine effektivere Kontrolle der Geheimdienste und wenn ja, wie könnte die aussehen?
Der Rechtsstaat beruht auf dem Gedanken der demokratischen Kontrolle und Begrenzung von staatlicher Macht. Die Nachrichtendienste machen hier keine Ausnahme. In den letzten Jahrzehnten hat es technische Entwicklungen gegeben, die sich als Risikotechnologien für eine weltumspannende Überwachung der Menschen auswirken. Das Modell der demokratischen Kontrolle muss den gewaltigen Risikopotentialen der Überwachungstechnologien angepasst werden. Zunächst muss daher die alte Architektur der Regelung der deutschen Nachrichtendienste auf den Prüfstand. Es bedarf Gremien, die unabhängig, professionell und gut ausgestattet ihrer Kontrollaufgabe gerecht werden können. Ferner brauchen wir eine stärkere Kultur der Transparenz, die grundsätzlich auch vor den wesentlichen Fragen der Arbeit von Nachrichtendiensten und ihrer
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