Überwachtes Netz
wir recht wenig.
Was bedeutet das für Gesellschaften, wenn wir nun herausfinden, dass wir allumfassend überwacht werden?
Wir können heute alle kommunizieren, wie das bis vor kurzem nur die Eliten konnten. Daraus ist viel Gutes entstanden, Freie Software, Freie Kultur und viele andere Nischen der freiwilligen, transparenten Kooperation. Aber der Preis der Explosion der Kommunikation ist, dass Macht sich auf die Ebene der Daten verschoben hat. Man könnte sagen, die Internet-Revolution ist in ihre gegenrevolutionäre Phase getreten. Die Freiheitsgewinne der ersten Phase (ca. 1990-2005) werden wieder zurückgeholt und durch neue Kontrollstrukturen neutralisiert.
Was sind die politischen Forderungen, die aus dem größten Überwachungsskandal der Menschheitsgeschichte folgen müssen?
Was wir sehen ist eine Erosion der Grundrechte, allen voran des Rechts auf Privatsphäre. Wenn wir die USA anschauen, dann erschreckt mich dort am meisten, dass eine der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung, die Öffentlichkeit staatlichen Handelns, ganz besonders der Gerichte, quasi aufgehoben ist. Es ist heute möglich, auf Basis eines geheimen Gesetzes, durch ein geheimes Gericht verurteilt zu werden und dann gezwungen zu sein, darüber Stillschweigen zu waren. Das ist ein Rückfall in finsterste Zeiten des Absolutismus. Das ist eigentlich unvorstellbar.
Es gilt wieder, ganz basal, die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat zu stärken, wobei man daran denken muss, dass »Staat« und »Wirtschaft« kein zwei getrennten Akteure sind, sondern wie wir auch durch Snowden erfahren haben, eng verschränkt sind. Insofern müsste man vielleicht sagen, dass die Rechte des Einzelnen gegenüber großen Institutionen gestärkt werden müssten.
Welche technischen Implikationen hat das Ganze, wenn das derzeitige Internet zu einer globalen Überwachungsinfrastruktur umgebaut wurde?
Die USA werden wohl in ihrer zentralen Position innerhalb des Netzwerkes geschwächt werden. Das Netz wird in seiner Tiefenstruktur dezentraler werden. Es werden in Zukunft wohl weniger Daten durch die USA fließen als bisher. Die Regierung von Brasilien hat bereits angekündigt, hier aktiv zu werden, und auch jede andere Regierung wird sich wohl genauer anschauen, wie ihre Daten von Punkt A nach B kommen. Das muss nicht unbedingt eine gute Sache sein, denn jede Regierung hat einen Geheimdienst, der gerne mithören würde.
Was müssen wir tun, um Menschenrechte und ein offenes Netz zu schützen?
Was von Menschen gemacht wird, kann von Menschen auch wieder verändert werden. Ein Großteil dessen, was jetzt gemacht werden muss, findet weniger auf der politisch-juristischen Ebene statt, sondern auf der politisch-technischen. Damit meine ich, dass wir uns wieder mit der Architektur der Infrastruktur und ihren politischen Dimensionen beschäftigen müssen. Als Grundsatz könnte hier gelten, Daten, die zentral anfallen, müssen offen gelegt werden. Die Open Data Bewegung macht hier wichtige Arbeit, steht aber noch sehr am Anfang. Im Gegenzug müssen Daten, die nicht öffentlich sein dürfen, wieder stärker dezentral werden. Dass wir alle unsere persönlichen Daten bei Google, Facebook und GMX lagern, ist ja eine Einladung zur Überwachung. Auch hier gibt es interessante Projekte, etwa Mailpile, um Webmail dezentralisieren zu können. Der alte CCC-Slogan »öffentliche Daten nützen, private Daten schützen« ist immer noch sehr aktuell.
Konkret zu Österreich: Gibt es bei euch eine mediale und politische Debatte zum Thema? Und wenn ja, wie verläuft die?
Ja, die gibt es, aber die komödienhaften Aspekte überwiegen. So haben etwa die Grünen gefordert, Snowden sollte Asyl gegeben werden, was aber ein reiner Wahlkampf-Gag war und nicht ernsthaft verfolgt wurde. Der Höhepunkt der Komik war die Episode, als bekannt wurde, dass sich in Wien eine NSA Lauschstation befindet. Die Politik reagierte darauf, dass sich das Verteidungsministerium, das Innenministerium und das Justizministerium für »nicht zuständig« erklärten und der Kanzler schwieg. Das hat er von Frau Merkel gut gelernt.
Das Interview führte Markus Beckedahl.
Interview mit Ot van Daalen
Ot van Daalen war bis zum 1. Oktober 2013 Direktor von Bits of Freedom, einer niederländischen Organisation für digitale Rechte.
Auf welche Weise berichteten die nationalen Medien über Snowdens Enthüllungen der massenhaften Überwachung?
In Bezug auf Snowdens Enthüllungen begannen die niederländischen
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