Überwachtes Netz
nichts mit »deutschem Boden« zu tun. Der Anwendungsbereich des Grundgesetzes ist nämlich nicht territorial, sondern institutionell und funktional begrenzt. Das bedeutet, dass staatliche Schutzpflichten zum Schutz der Privatsphäre deutscher Bürger unabhängig davon greifen, durch wen oder wie die Privatsphäre bedroht ist. Welche Schutzmaßnahmen konkret zu treffen sind, wenn ausländische Behörden die Privatsphäre bedrohen, bleibt zu diskutieren.
Mittlerweile ist klar, dass auch BND und Verfassungsschutz mit NSA & Co kooperieren, indem sie Daten und Software austauschen. Gibt es hier rechtliche Bedenken?
Die Rechtslage ist unklar und komplex. Hier besteht Klärungsbedarf. Eine internationale Zusammenarbeit von Geheimdiensten ist zwar erlaubt und auch sinnvoll. Allerdings bestehen Bedenken, wenn deutsche Behörden Daten nutzen, die sie selbst gar nicht erheben dürften.
Brauchen wir eine effektivere Kontrolle der Geheimdienste und wenn ja, wie könnte die aussehen?
Die Kontrolle deutscher Geheimdienste kann und sollte effektiver gestaltet werden. Unter anderem sollten IT-Sachverständige eine stärkere Rolle in den Kontrollgremien spielen, weil der politische Sachverstand von Abgeordneten zur Kontrolle komplexer IT-Prozesse nicht ausreicht. Der Gesetzgeber muss die »rote Linie« für die Geheimdienste stärker ausmalen.
Überwachungs-Befürworter argumentieren unter anderem, dass man ein Recht auf Privatsphäre verwirkt, wenn man digitale Dienste nutzt, vor allem amerikanischer Firmen. Müssen wir zukünftig in den Wald gehen, um privat kommunizieren zu können?
Nein. Zur informationellen Selbstbestimmung gehört auch das Recht, Kommunikationspartner und IT-Dienstleister selbst zu wählen. Wer dabei Sicherheitsrisiken eingeht, verwirkt seine Grundrechte nicht. Auch riskante Kommunikationsbeziehungen sind vom Staat im Rahmen des Möglichen zu schützen.
Welche konkreten Schritte können auf nationaler und internationaler Ebene unternommen werden, um diese Überwachung zurückzudrängen?
Zunächst einmal bedarf es einer breiten gesellschaftlichen und politischen Debatte über die Grenzen staatlicher Überwachung, aber auch über deren Notwendigkeit. Dann wird über eine Anpassung der aktuellen Sicherheitsgesetze zu reden sein. Mit einer so erlangten klaren Haltung ist schließlich die Diskussion auf der internationalen Bühne zu führen. Ziel muss es sein, staatliche Gefahrenvorsorge und internationale Kriminalitätsbekämpfung verhältnismäßig und transparent zu gestalten.
Im Moment sieht es so aus, als würde das mediale und politische Interesse an der Thematik sinken. Was haben die Enthüllungen konkret gebracht?
Sie haben auf jeden Fall Aufmerksamkeit erzeugt, eine notwendige Diskussion angestoßen und intransparente Überwachungsvorgänge wenigstens zum Teil aufgedeckt. Hier kann und muss weiter angesetzt werden. Darüber hinaus besteht Forschungsbedarf in Fragen rechtmäßiger Technik und technikgemäßen Rechts.
Das Interview führte Markus Beckedahl.
Interview mit Felix Stalder
Felix Stalder ist Professor für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung in Zürich, Vorstandsmitglied des World Information Institute in Wien und langjähriger Moderator der internationalen Mailingliste nettime. Er forscht u.a. zu Urheberrecht, Freier Kultur, Privatsphäre und Suchtechnologien.
Was hast Du Dir gedacht, als die ersten Snowden-Enthüllungen veröffentlicht wurden?
Zunächst fand ich es merkwürdig, dass die Veröffentlichungen von Hongkong aus geschahen. Ich wunderte mich, dass es keinen besseren Ort auf der Welt geben sollte als Hongkong, um kritisches Material zu veröffentlichen. Aber auch Hongkong, mit seiner spezifischen Situation von relativ freier Presse innerhalb des mächtigen chinesischen Staates war dafür ungeeignet. Dass es nun gerade das autoritäre Russland ist, dass als einziges Land bereit ist, Snowden aufzunehmen, ist deprimierend und ein Armutszeugnis erster Güte für alle Staaten, die vorgeben, die Pressefreiheit zu schützen.
Was denkst Du Dir jetzt nach vier Monaten Enthüllungen? Hat sich etwas verändert?
Nicht viel. Außer dass die gesamte Grundstimmung was digitale Kommunikation betrifft, deutlich dunkler geworden ist. Das Problem ist, dass es keinen mächtigen gesellschaftlichen Akteur gibt, der etwas dagegen unternehmen wollte. Die Politik nicht, die Wirtschaft sicher nicht, denn Überwachung ist ein riesiges Geschäft. Da zählen ein paar BürgerrechtlerInnen wie
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