Überwachtes Netz
der in anderen süd- und mittelamerikanischen Ländern?
Es gibt mehrere Parallelwelten in Lateinamerika, man könnte den Kontinent praktisch in zwei oder sogar drei Gruppen aufteilen. Auf der einen Seite gibt es die Länder, die nach den bewaffneten Konflikten eine zwar nicht perfekte, aber doch positive Wandlung vollzogen haben: Chile, Argentinien, Uruguay und zu gewissen Teilen Brasilien, wo Teile der Bevölkerung, zumindest die organisierte Zivilgesellschaft, sich der Gefahren eines Polizeistaates bewusst sind, wo es Rechenschaftspflichten und Justiz gibt und wo die Bevölkerung im Allgemeinen ihre Rechte versteht und durchsetzt. Obwohl manche der Staaten korrupt sind, sind sie dennoch stabil und die Bürger können ihre Rechte einfordern und durchsetzen.
Leider gehört Guatemala nicht dazu. Guatemala ist Teil des nördlichen Dreiecks, dem gefährlichsten Gebiet in der Region, wo Drogenkriminalität so viele Menschen tötet wie in ganz Syrien getötet wurden. Mexiko, Guatemala, El Salvador und Honduras leiden unter einem ständigen gewalttätigen und bewaffneten Konflikt, der mit dem Drogenkrieg in enger Verbindung steht. Tausende verschwundener Menschen, eine ärmliche und instabile Strafverfolgung und ein starker Einfluss der US-Sicherheitspolitik – das ist das Szenario des »Kriegs gegen Drogen«. Und wie in jedem Krieg gegen ein »Nomen« – Krieg gegen Drogen, Krieg gegen Terrorismus, etc. – verschwimmen Grenzen und Ausnahmen werden zur Regel. Die Sonderstellung all der Gesetze, die in der Region zum Kampf gegen Drogen erlassen wurden, haben zu einer Erosion der Grundrechte geführt, unter ihnen auch das Recht auf Privatsphäre. Überwachung, CCTV-Kameras, mobile Registrierung, biometrische Pässe und verstärkte staatliche Kontrollen werden von der Zivilbevölkerung freudig begrüßt. In diesen pervertierten Cocktail mischt sich dann noch die enge, außerrechtliche Zusammenarbeit von Telekommunikationsunternehmen mit den Strafverfolgungsbehörden. Überwachung ohne vorherigen richterlichen Beschluss wurde sogar von der internationalen Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) vorangetrieben. Sie haben nicht nur eine Verordnung vorgeschlagen, die der Polizei erlaubt, digitale Überwachung ohne Anordnung durchzuführen, sondern auch Ausrüstung dafür finanziert.
Was haben Ihre Regierungsvertreter den »Five Eyes«-Staaten zu deren Abhörkapazitäten gesagt?
Eine sehr schwache Gruppe von Mitgliedern des Kongresses hat das Ganze in begrenztem Rahmen hinterfragt. Aber da Guatemala in keinem Dokument ausdrücklich erwähnt wird und lokale Journalisten keinen Zugang zu den Dokumenten haben, gibt es auch noch keine Diskussion. Die Regierung und die Ausrüstung, Ausbildung und Finanzierung der Polizei sind stark abhängig vom Geld der »Five Eyes«-Staaten. Sie werden diese Finanzierung nicht durch Kritik aufs Spiel setzen. Ich frage mich, ob sie Zugang zu den Geheimdienstinformationen von NSA und dem wichtigsten Akteur in dieser Gegend, DEA, haben.
Wo liegt das Problem mit dem allgegenwärtigen Überwachungsstaat, dem wir uns gegenübersehen und der versucht, jede digitale Kommunikation auf der Erde abzufangen?
Durch totale Überwachung und totale Kontrolle wird kein Widerspruch mehr möglich sein. Ich bin sehr beunruhigt über das Risiko einer totalitären globalen Gesellschaft, in der Grundrechte effektiv unterdrückt werden, um die Rechte Weniger zu schützen. Ich bin auch sehr besorgt, da Ausrüsten und Entwerfen der Überwachungstechnologien, -mechanismen und -werkzeuge Teil der zwei größten Sektoren sind: dem Technik- und dem Sicherheitssektor, sehr zentrale Industriezweige für die Länder der Ersten Welt. Vorrangig für die »Five Eyes« und europäische Länder. Selbst wenn alle lateinamerikanischen Bürger ihre Stimme erheben würden, könnten sie ein solches Modell nicht umkehren und abschaffen.
Das Traurige daran ist, dass unsere Staaten aus der jüngsten Vergangenheit noch den Missbrauch kennen, den ein Staat begeht, wenn er absolute Kontrolle über die Daten, Bewegungen, Ideen und Interessen eines Bürgers hat – vor allem wenn dieser Bürger den Mächtigen nicht zustimmt.
Die Aktivitäten der Industrie, die am schwersten zur Rechenschaft gezogen werden kann, und der undurchsichtigsten Institution, den Geheimdienstbehörden, sind unter dem Segel der nationalen Sicherheit geschützt. Sie nehmen Bürgern und Parlamentariern die Möglichkeit, mitzubekommen, was
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