Uhrwerk Venedig (German Edition)
verdrängte die aufkommenden Zweifel. Zu groß war die Freude über die Fertigstellung seines Werkes, als dass er sich jetzt solch profane Gedanken über Ruhm, Ehre und Geld machen wollte. Monate harter Arbeit, endloser Berechnungen und Versuche lagen hinter ihm. Jetzt war endlich der Zeitpunkt gekommen, da er seinen Meister verblüffen wollte.
Giacomo griff nach dem großen Schlüssel aus Bronze, mit dem er das Werk aufziehen würde. Es war eine schwere Arbeit, und er keuchte dabei unterdrückt. Leonardo machte keine Anstalten ihm zu helfen. Dann war das Zahnradwerk endlich aufgezogen, und Giacomo richtete sich auf und sah seinen Meister, der mit vor der Brust verschränkten Armen einfach nur dastand.
»Und nun? Wann beginnt die Narretei, wegen der du mir in all den Monaten für meine anderen Arbeiten nicht zur Verfügung gestanden hast?« Seufzend griff Leonardo sich mit den Fingerspitzen an die Nasenwurzel, schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Was wird die Nachwelt nur von mir denken? Welches Bild werden sie von mir haben, wenn ich es noch nicht einmal schaffe, vernünftige Gedanken in meine Schülern zu säen?«
Giacomo überhörte die Worte seines Meisters, während sein Blick zum großen Dachfenster der Werkstatt wanderte. Leonardo wandte sich gerade ab, als Giacomo einen Freudenruf ausstieß.
»Meister! Der Mond! Er ist voll! Jetzt werde ich euch zeigen, wie meine Machina funktioniert!«
Er lief an das vordere Ende des riesigen Ungetüms, legte einen schweren Hebel um und aus dem Inneren der Machina drangen Knarzen und Klicken und Rattern. Das Licht des Mondes sammelte sich in einem großen Prisma, das auf einem Holzturm in der Mitte der Machina thronte. Das Prisma brach den Strahl in bunte Fäden, die auf eine polierte Metallfläche auf dem Dach der Konstruktion fielen. Erst langsam, dann immer schneller werdend, drehten sich die Arme mit den Prismen und Edelsteinen und fingen die Lichtfäden ein, die sich aus der Mitte der Machina fächerförmig verbreiteten. Sie webten einen bunten Teppich aus Licht um das Gerät, der immer dicker und dichter wurde.
Giacomo wartete … wartete … noch einen Moment länger, dann legte er einen weiteren Hebel um. Eine Scheibe mit flachen Glasplatten, in denen Wasser schwamm, begann zu rotieren. Der Lichtteppich wurde durch diese Scheibe gepresst … und auf der aufgespannten Leinwand bildete sich ein Bild!
Leonardo keuchte unterdrückt auf. Giacomo runzelte die Stirn, wandte sich seinerseits der Leinwand zu und hielt erschrocken die Luft an. Er spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich und Schwindel mit luftigen Fingern nach ihm griff.
Auf der Leinwand sah Giacomo statt des Mondes einen Mann in einem weißen Rock. Er stand vor einer Wand, die in hellem Licht leuchtete. Neben dieser Leuchtwand hing ein ungewöhnlich bleiches Pergament, das an einen Kalender erinnerte. Große, arabische Zahlen prangten in tiefstem Rot auf dem oberen Teil des Kalenders.
2050!
Der Mann hielt ein schwarzes Bild vor die Leuchtwand und plötzlich erschien auf dem schwarzen Bild ein Geist! Kein Fleisch schimmerte auf seinen fahlen Knochen, keine Haut bedeckte den Körper.
»Was, im heiligen Namen Gottes, ist das?«, keuchte Leonardo atemlos. Giacomo öffnete den Mund, um seinem Meister zu antworten, schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut, bekam aber kein Wort heraus. Er holte tief Luft, setzte erneut an, und endlich brachte er ein paar gehauchte Worte hervor.
»Ich weiß es nicht, Meister.«
Der Mann auf der Leinwand wandte sich um. Sein Gesicht wirkte erschrocken, als er auf einen kleinen Kasten blickte, der ganz am Rand des Bildes stand. In diesem Kasten schien eine eigene Welt zu sein! Schlanke Körper flogen durch den Himmel dieser kleinen Welt. Sie hatten starre Flügel und ließen irgendetwas aus ihrem Bauch fallen, das eine Hölle aus Feuer auf den Boden warf! Die Welt in dem kleinen Kasten änderte sich. Jetzt flogen dort Körper, die über sich schnell rotierende Scheiben hatten, die sie in der Luft hielten! Sie spuckten schmale, dunkle Dinge aus ihren Seiten nach vorne, welche die gleiche Art von Hölle auf den Boden unter sich warfen.
Giacomo ließ sich auf die Knie fallen, faltete in einer fahrigen Bewegung die Hände, um zu beten, aber außer einem atemlosen Hauchen wollten keine Laute seinen Mund verlassen. Aus dem Augenwinkel sah er seinen Meister Leonardo, der erschüttert auf das Bild der Machina starrte. Der Mann auf der Leinwand wandte sich um, sah auf
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