Uhtred 6 - Der Sterbende König
und in diesem Moment kamen wir um eine Kurve in der Straße und sahen unterhalb von uns Wintanceaster liegen, mit seiner neuen Kirche, die hoch über die enggedrängten Hausdächer ragte.
Wintanceaster war gewiss die bedeutendste von Alfreds Wehrstädten, also den Städten, die er zum Schutz vor den Dänen befestigt hatte. Um die Stadt lief ein tiefer Graben, der an manchen Stellen geflutet war, und dahinter erhob sich ein hoher Erdwall, über den sich eine Palisade aus Eichenstämmen zog. Es gibt wenig Schlimmeres, als solch einen Ort angreifen zu müssen. Die Verteidiger, wie Haestens Männer bei Beamfleot, haben alle Vorteile auf ihrer Seite und können einen Hagel aus Speeren und Steinen auf die Angreifer niederregnen lassen, während diese sich über Hindernisse hinwegkämpfen und auf Leitern hinaufklettern müssen, die mit Äxten zerhackt werden. Alfreds Wehrstädte hatten Wessex sicher gemacht. Die Dänen konnten immer noch ihre Beutezüge auf dem Land machen, doch alles Wertvolle wurde dann hinter die Wälle der Wehrstädte gebracht, und um die Wälle konnten die Dänen nur herumreiten und nutzlose Vorstöße unternehmen. Die sicherste Art, eine Wehrstadt einzunehmen, war es, die Garnison so lange auszuhungern, bis sie sich ergab, aber das konnte Wochen oder Monate dauern, und während all dieser Zeit waren die Belagerer der Gefahr durch Angriffe von Truppen aus anderen Festungen ausgesetzt. Die zweite Möglichkeit bestand darin, Männer zum Angriff gegen die Wälle zu schicken und viele von ihnen in den Gräben sterben zu sehen, aber die Dänen setzten ihre Männer nie leichtfertig ein. Die Wehrstädte waren Festungen, zu stark für die Dänen, und Bebbanburg, so ging es mir durch den Kopf, war widerstandsfähiger als jede Wehrstadt.
Das nördliche Stadttor von Wintanceaster war inzwischen aus Stein und wurde von einem Dutzend Männern bewacht, die den offenen Torbogen versperrten. Ihr Anführer war ein kleiner, grauhaariger Mann mit grimmigem Blick, der seine Männer zur Seite winkte, als er mich sah. »Grimric, Herr«, sagte er, weil er offenkundig erwartete, wiedererkannt zu werden.
»Du warst bei Beamfleot«, riet ich.
»Das war ich, Herr!«, sagte er, erfreut, dass ich mich erinnerte.
»Wo du eine große Schlacht geschlagen hast«, sagte ich und hoffte, damit die Wahrheit getroffen zu haben.
»Wir haben den Bastarden gezeigt, wie die Sachsen kämpfen, Herr, was?«, sagte er grinsend. »Wie oft habe ich diesen hasenfüßigen Grünschnäbeln schon erzählt, dass Ihr wisst, wie man einem Mann einen echten Kampf liefert!« Er zeigte mit dem Daumen auf seine Männer, sämtlich Jünglinge, die man von ihren Bauernhöfen oder Warenläden abgezogen hatte, damit sie ihre Dienstwochen in der Garnison ableisteten. »Die haben gestern noch an den Brüsten ihrer Mütter genuckelt, Herr«, sagte Grimric.
Ich gab ihm eine Münze, auch wenn ich mir das kaum erlauben konnte, doch so etwas wird von einem Herrn erwartet. »Kauf ihnen Ale«, erklärte ich Grimric.
»Das werde ich, Herr«, sagte er, »und ich wusste, dass Ihr kommt! Ich muss natürlich noch melden, dass Ihr hier seid, aber ich wusste, dass alles in Ordnung kommen würde.«
»In Ordnung?«, fragte ich, etwas verwirrt von seinen Worten.
»Ich wusste, dass es so sein würde, Herr!« Er grinste, dann winkte er uns durch. Ich ging zu der Schänke Zwei Kraniche, deren Besitzer mich kannte. Er rief seine Bediensteten, damit sie sich um unsere Pferde kümmerten, brachte uns Ale und gab uns eine große Kammer im rückwärtigen Teil des Gasthauses, wo das Stroh sauber war.
Der Besitzer war einarmig und hatte einen so langen Bart, dass er das Ende des Bartes unter einen breiten Ledergürtel klemmte. Er hieß Cynric, hatte seinen linken Unterarm im Kampf für Alfred verloren, führte die Zwei Kraniche seit über zwanzig Jahren, und es ging nicht viel in Wintanceaster vor, von dem er nichts wusste. »Die Kirchenmänner regieren«, erklärte er mir.
»Nicht Alfred?«
»Der arme Kerl ist krank wie ein besoffener Köter. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt.«
»Und Edward steht unter der Fuchtel der Geistlichen?«, fragte ich.
»Der Geistlichen«, sagte Cynric, »seiner Mutter und des Witans. Aber er ist nicht annähernd so fromm, wie sie glauben. Habt Ihr von der Herrin Ecgwynn gehört?«
»Die Bischofstochter?«
»Genau die, und sie war ein entzückendes Ding, weiß Gott. Noch beinahe ein Mädchen, aber schon so schön.«
»Ist sie tot?«
»Bei einer
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