Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Jahre Geschichte in wenigen Wochen nach. Was halten Sie denn von diesen »Wutbürgern«?
Na ja, plötzlich ist das nicht passiert. Das war ein langer Prozess – und man kann darüber viel Unfreundliches sagen. Man könnte das auch als eine gewisse Unterart des Überbegriffs »Mir gäbbet nix« 16 ausführen – in Wahrheit nämlich war ein großer Teil der Demonstranten gutbürgerlich situiert. Aus besonders guten Wohngebieten. Mit dem starken Motiv: Warum sollen wir zehn Jahre eine Baustelle in unserer Stadt haben? Wir fahren ohnehin nicht mit der Bahn!
Das war aber nur ein Teil.
Ein anderer Teil hatte Sorge vor der Modernisierung der Stadt. Wobei man sehr wohl danach fragen kann: Was wird aus einer Stadt, wenn sie so viel freie Fläche kriegt? Verliert sie dann ihren, auch sehr liebenswürdigen, Charakter? Die Stuttgarter lieben ihre Stadt. Und sie leben dort in ihrer Bürgerlichkeit ja auch ganz großartig. Die Kultur in Stuttgart ist nicht schlecht. Das Theater in Stuttgart ist nicht schlecht. Die Oper ist gut. Sie haben tolle Ausstellungen. Die Lebensqualität ist nicht schlecht. Man kann das alles auch so herum sehen. Deswegen verstehe ich das irgendwo. Andererseits, wenn man vor 15 Jahren – also vor ewigen Zeiten – schon darüber entschieden hat, und sich dann irgendwann in eine solche Hysterie reintreiben lässt … Das hätte aber auch woanders passieren können. Aber dann hat man gesehen: Die Mehrheit in Stuttgart hat für den Bahnhof gestimmt! Das muss man der Vollständigkeit halber ja auch sagen. Am Schluss ist der Widerstand gegen Stuttgart 21 ja fast zu einer Diktatur einer Minderheit geworden.
Aber trotzdem hat sich die politische Stimmung in Stuttgart gedreht. Und bei den Wahlen ist ein Ergebnis rausgekommen, das zumindest überraschend war.
Stuttgart, entschuldigen Sie, Herr Kienzle, wenn ich Sie daran erinnern darf: Bis der Manfred Rommel kandidiert hat, hatte Stuttgart eine gesicherte SPD-Mehrheit. Über die ganze Nachkriegszeit galt: Großstadt plus überwiegend protestantische Bevölkerung gleich klassisch SPD. Die SPD hatte die Mehrheit der Direktmandate in Stuttgart. Und ein relativ starker Teil ging an die FDP.
Die ja mal bei 15 oder 20 Prozent lag.
Da muss man ja immer Reinhold Maier auf sich wirken lassen, um zu verstehen, was das für eine FDP war. Die CDU hatte, weil es die »Schwarzen« waren, nicht so viele Chancen in Stuttgart, was ja stark protestantisch geprägt war. Erst mit Manfred Rommel 17 hat sich das geändert. Er war ein Glücksfall für Stuttgart und die CDU. Und man darf auch nicht vergessen: Der Wolfgang Schuster 18 war ein außergewöhnlich erfolgreicher Oberbürgermeister. Bloß hatte er geringe kommunikative Fähigkeiten.
Hat Mappus taktisch nicht einen Fehler gemacht? Sie waren ja auch ein Anhänger von Schwarz-Grün. Und wenn Mappus nicht so ein Grünen-Fresser gewesen wäre, dann wäre der Kretschmann ja heute stellvertretender Ministerpräsident und Mappus würde weiter regieren.
Nach 50 Jahren kann es halt auch mal schiefgehen, wenn es ein bisschen dumm läuft. Vergessen Sie nicht: Nach der Gründung des Südweststaats hatte der FDP-Mann Reinhold Maier eine Koalition aller gegen die mit Abstand stärkste Partei, die CDU, hingebracht – diese Regierung hatte damals einen Mangel an Legitimität, sodass sie nach der Bundestagswahl, ein gutes Jahr später, schon nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Dann kam es ja zu der CDU-geführten Regierung von Gebhard Müller. Und damals begann eine lange, erfolgreiche Geschichte nicht nur der CDU in Baden-Württemberg – sondern des Landes Baden-Württemberg unter der Führung der CDU!
Ist die Wahlniederlage im Jahr 2011 eine Katastrophe für Sie?
Nein. 2016 wird Baden-Württemberg wieder gewonnen.
Wobei der Kretschmann als Landesvater eine ungewöhnlich gute Figur macht, oder?
Ach, der Kretschmann … Der wirkt ganz vernünftig und deshalb passt der ganz gut dahin. Aber in der Substanz ist das nicht aufregend. Was macht denn der Kretschmann? Seine Entscheidungen sind nicht besonders eindrucksvoll. Das Land macht in vielen Bereichen deutlich rückwärts. Aber es hat keinen Sinn, da viel rumzuschreien. 2016 wird das einfach wieder gewonnen.
Bundespolitisch tun sich die Schwaben zurzeit schwer. Dagegen wurde die Bonner Republik zeitweise ja auch »Spätzlesrepublik« genannt.
Das war ein blöder Begriff von den Norddeutschen, von Leuten, die nur Kartoffeln essen. Das ist ja albern. Was heißt
Weitere Kostenlose Bücher