Ulysses Moore 6: Der erste Schlüssel (German Edition)
Krachen in sich zusammenstürzte. Entsetzt schrie Julia auf.
»Ach, wer ist denn da?«, sagte einer der Soldaten.
Ein kurzes Durcheinander folgte. Julia versuchte zu flüchten, kam aber nicht weit.
»Ich hab sie!«, freute sich der Soldat und griff fester zu.
»Jason!«, rief Julia.
Jason wollte aus seinem Versteck kriechen, stieß sich aber in der Dunkelheit die Stirn an einer Kante des Webstuhls. Er sah einen weißen Blitz und ein unglaublich heftiger Schmerz durchzuckte ihn.
»Jason!«, schrie Julia nochmals.
Jason hielt sich mit beiden Händen den Kopf, der furchtbar dröhnte. Er hörte die Schreie seiner Schwester, konnte aber keinen klaren Gedanken fassen. Seine Schmerzen lähmten ihn.
»Dich haben wir, du kleines Scheusal! Du entkommst uns nicht mehr!«, hörte er einen Soldaten sagen.
Darauf erklangen Rufe: »Sie ist hier! Wir haben sie gefunden!«
Es ist vorbei, dachte Jason und rollte sich am Boden zusammen. Er rechnete jeden Moment damit, dass er abgeführt würde, aber nichts geschah.
Stattdessen verebbten die Stimmen und die Schritte nach und nach, und schließlich wurde es um ihn herum ganz still.
Als er die Augen wieder öffnete, war er allein. Jason blinzelte. Es war stockdunkel: Es musste immer noch Nacht sein.
»Julia?«, fragte er, erhielt aber keine Antwort.
Er kroch unter den Trümmern des Webstuhls hervor. In seinem Kopf pochte der Schmerz, der sich verschlimmerte, sobald er die Stirn nur leicht berührte. Am Haaransatz hatte sich bereits eine dicke Beule gebildet.
Er richtete sich auf. Überall lagen Garnrollen und Stofffetzen herum.
»Julia?«, fragte er wieder, obwohl er nur zu gut wusste, dass seine Schwester ihm nicht antworten würde.
Mühsam versuchte er, sich zu erinnern, was eigentlich geschehen war. Er hatte das Bewusstsein verloren und die Soldaten hatten ihn nicht gefunden. Warum? Hatten sie ihn vielleicht für tot gehalten?
Er lief zum Eingang und schaute hinaus zu den vier Masten der Klingelschnur. Ob er sich wohl wieder an der Schnur entlanghangeln musste, um das Feld zu überqueren? Das würde er auf keinen Fall schaffen: Dafür war er zu kaputt.
Erschöpft setzte er sich auf die Türschwelle. Die Soldaten hatten seine Schwester mitgenommen und er fühlte sich entsetzlich einsam.
Tief in seine düsteren Grübeleien versunken, hörte Jason plötzlich ein Geräusch. Kurz darauf nahm er eine Bewegung hinter sich wahr. Mit einem Ruck drehte er sich um und wich im selben Moment erschrocken zurück. Fast hätte er laut aufgeschrien.
Vor ihm baumelte ein Gesicht von der Decke.
»Hallo«, sagte eine ihm vertraute Stimme und Dagobert ließ sich zu Boden gleiten. »Wie geht es dir?«
Jason antwortete nicht.
»Tut mir leid wegen deiner Schwester«, fuhr der Dieb fort.
Jason ging davon aus, dass Dagobert sie verraten hatte. »Du hast uns an die Soldaten ausgeliefert, nicht wahr?«
»Natürlich«, gab der junge Dieb zu. »Mir ist es jedoch gelungen zu entkommen.«
»Du bist ein Feigling. Und es ist deine Schuld, dass sie Julia gefangen haben!«
»Das glaube ich nicht. Ich war nicht derjenige, der das Feuerwerk ausgelöst hat. Das war ja fast, als hättet ihr den Soldaten zugerufen: ›Kommt her! Wir sind hier! Nehmt uns fest!‹«
Wo haben sie sie hingebracht?«
»Die beiden?«
»Warum die beiden?«
»Weil sie zu zweit waren.«
»Wieso zu zweit?«
»Im Labor war noch jemand. Ein anderer Dieb, der euch gefolgt ist«, erklärte Dagobert.
»Das ist nicht möglich«, sagte Jason leise. Doch da erinnerte er sich an die Begegnung im Olivenhain, von der Julia ihm erzählt hatte. Er sagte dem Dachsteiger aber nichts davon, denn er hielt es für besser, ihm nicht zu trauen.
»Ich habe ihn gesehen!«, beteuerte Dagobert. »Mit meinen eigenen Augen.«
»Deinen Augen könnte ich vielleicht trauen«, meinte Jason verächtlich, »aber deinem Mund nicht. Vielleicht hast du dich mit den Soldaten abgesprochen, um das Notizbuch zu bekommen.«
»Und warum wäre ich dann hiergeblieben?« Der Dieb streckte Jason seine leeren Hände entgegen. »Wie du sehen kannst, ist es heute Nacht für mich nicht besonders gut gelaufen.«
Jason machte ein besorgtes Gesicht. »Das Notizbuch hat Julia.«
»Aber nicht mehr lange, glaube ich.«
»Warum? Was werden sie mit ihr machen?«
»Das, was sie mit allen Dieben tun. Sie bringen sie ins Gefängnis, durchsuchen sie und sperren sie für einige Zeit hinter Gitter. Und mach dir keine Hoffnungen: Die Türen der Zellen werden
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